1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
es selten heiterer, lichter Tag; er kannte fast nur Nacht und Flammen, und diese brannten niemals rein, sondern warfen, gleich dem Feuerkrater der Sonne, fortwährend riesenhafte Schlackenmassen, die sich zu schwarzen Flecken auf der leuchtenden Scheibe gestalteten, aus. Inzwischen wurde ihm auch die düstere Nacht erleuchtet, entweder durch Blitze oder durch fernfunkelnde Gestirne, an denen sein sehnsüchtiges Auge hing, die sein Herz bebend verehrte. Diese bildliche Anschauung seines Innern legte er selbst zum Grunde, als er einen Augenblick mit Ludwig zurückgeblieben war und beide, stillstehend, sinnend, ihre Blicke den Wellen des Stromes folgen ließen. »Es ist mir bisweilen,« begann er, »als dämmere es purpurn am äußersten Norden des Nachthimmels meiner Seele, und dann kommt es über mich, als wolle mir der Mond sanft leuchtend aufgehen. Aber er steigt blutig herauf, darauf will ich wetten, und die ganze Mond-Aurora war nur der Widerschein einer Feuersbrunst, die mir, der Teufel weiß was, niederbrennt.«
»Und mir ist's,« antwortete Ludwig, den der Vergleich in seiner jetzigen Stimmung tief ergriff, »mir ist's, als deute die dämmernde Röte nur den Untergang eines schönen Gestirns an und bald werde alles graue Nacht sein.« – »Du kannst auch recht haben,« entgegnete Bernhard kurz und rauh, wie er pflegte; »aber laß uns zur Gesellschaft.« – »Ich tröste mich damit,« sprach Ludwig im Gehen, »daß jedes sinkende Gestirn in einer andern Welt aufsteigt.«
»Ja, ja, recht hübsch,« warf Bernhard hin; »das Rad, was mir die Rippen und meinethalben das Herz dazwischen zerquetscht, dreht sich an der Achse eines Triumphwagens für einen andern, der vielleicht ein Esel ist; oder mindestens fährt doch eine Gans mit einem Affen gemächlich in der Chaise spazieren, oder in der Hochzeitskutsche zur Kirche, deren Rad mich in den Kot drückt und schindet. Das tröstet ungemein,«
»Ich meinte es nicht so, Bernhard,« sprach Ludwig ein wenig empfindlich; »auch hast du mich wohl absichtlich mißverstanden. Nicht eine Welt anderer, sondern nur die uns selbst eine andere, bessere sein wird, hatte ich im Sinne.«
»Guter Ludwig,« antwortete Bernhard, indem er aus dem bittern Ton in den seines gewöhnlichen Humors fiel, »es ist freilich eine sehr angenehme Beruhigung, wenn wir im Ariost lesen, daß sich die Dinge, die uns hier verloren gehen, im Monde wiederfinden; ich meinesteils behielte aber doch gern, was ich habe; man spart Mühe dabei. Hätte die Sache indessen ihre Richtigkeit, so kann ich dir beteuern, daß die meisten meiner Güter im Monde liegen und ich im dortigen Hypothekenbuche, falls nur einige Ordnung herrscht, mit namhaften, sichern Forderungen eingetragen sein muß. Aber wenn wir so fortschwatzen und die Augen nicht auftun, so werden wir unsere Gesellschaft auch bald zu den Dingen zählen können, die wir leichter auf dem Monde wiederfinden als hier; denn hätte ich nicht noch soeben die beiden Mütter dort hinter den Fliederbüschen verschwinden sehen, so wüßte ich wahrlich nicht, ob ich die Töchter rechts oder links suchen sollte, zumal da sich an der Ecke dort so viele Wege kreuzen, daß man glauben möchte, es wäre in ganz Deutschland kein besserer Platz zu einer Teufelsbeschwörung zu finden.«
Indem die Freunde den Ihrigen rasch nacheilten und eben in einen dunklern Gang einbogen, den dieselben eingeschlagen hatten, stießen sie auf zwei fremde Herren, deren einer sehr sorgfältig gekleidet war und das rote Band der Ehrenlegion im Knopfloch trug. Der andere hielt sich ein wenig hinter ihm zurück, so daß er etwa das Ansehen eines Kammerdieners, höchstens eines Sekretärs hatte. Noch weiter zurück folgten zwei Livreebediente. Mit Höflichkeit grüßend streifte der Herr mit dem Orden rasch an ihnen vorüber, der andere sah sich nach den Dienern um und stand dabei einen Augenblick still. Als er sich darauf umwandte, waren Ludwig und Bernhard eben dicht an ihm. Beide schienen ihm aufzufallen; flüchtig grüßend, doch sie scharf ins Auge fassend, ging er vorüber. Als Bernhard, dem die Physiognomie des Fremden noch mehr aufzufallen schien als jenem die seinige, sich zurückwandte, um ihm nachzusehen, bemerkte er, daß derselbe eben ein Gleiches tat. Darüber waren sie achtlos an den Bedienten vorübergegangen.
»Ich sollte das Gesicht kennen,« sprach Bernhard, »mir ist ganz so zumute, als hätte ich es schon irgendwo gesehen; doch lügen müßte ich, wenn ich behauptete,
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