1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Beschlag zu nehmen, weil späterhin doch der Zudrang leicht so groß sein durfte, daß es an Platz gemangelt haben würde. Nachdem die Damen dort ihren Anzug ein wenig in Ordnung gebracht hatten, schritt man zu einem Spaziergange in den Garten, dessen schattige Gänge bei der noch ziemlich drückenden Hitze den angenehmsten Aufenthalt boten. Erst späterhin bei der eintretenden Kühle wollte man den Berg besteigen, da man um diese Zeit doch noch nicht von den vielen Wagen belästigt werden konnte, indem der Hof erst etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang oben eintreffen wollte.
Die Zeit verging den Spazierengehenden sehr angenehm. Reisende, zumal Soldaten, die ein langes Wanderleben führen, werden weit schneller bekannt in den Kreisen, die sie flüchtig berühren, als es Einheimischen zu gelingen pflegt. Die rasch bevorstehende Trennung lehrt dabei den Wert des Augenblicks höher schätzen; man beachtet jeden, den man nur auf kurze Zeit sehen soll, um dann vielleicht auf immer von ihm Abschied zu nehmen, viel aufmerksamer als den, dessen Lebensweg den unserigen länger zu begleiten verspricht. Auch findet unter solchen Verhältnissen ein eigentümlicher, gegenseitiger Reiz statt. Der Heimische betrachtet den Fremden, der weite Länderstrecken durchmessen hat und in noch entferntere Gegenden eilt, vielleicht um die seltsamsten Schicksale zu erleben, mit erhöhter Teilnahme; der unstete Fremde dagegen wird durch den Anblick des gleichmäßigen, sorglosen Glücks einer trauten Häuslichkeit zu einer wehmütigen Sehnsucht gestimmt, die ihm gleichfalls alle Gegenstände in einem reizendern Lichte zeigt. Beide Teile gewinnen durch den schroffen Gegensatz des Lebens. So können Persönlichkeiten, die uns im gewöhnlichen Verkehr vielleicht gleichgültig gelassen hätten, ungemein anziehend werden; vollends aber, wo sich ein in der Tat seltener Verein, fesselnder Eigenschaften findet, da schlingt sich, wenn der Kontrast der Lebensverhältnisse die gegenseitigen Anregungen mächtig verstärkt, schnell ein inniges Band von Herzen zu Herzen, das sich, und wäre es auch noch so vorübergehend geknüpft, oft nicht mehr zerreißen läßt, ohne tief schmerzende Wunden zurückzulassen.
Dieser Fall trat bei den jugendlichen Gemütern ein, die sich jetzt eben in argloser Offenheit voreinander frei entfalteten. Es konnte nicht fehlen, daß zwei in der Stille des Landlebens erzogene Mädchen von glücklichen Anlagen, deren Ausbildung jedoch durch die Verhältnisse oft mangelhaft geblieben war, von der Unterhaltung zweier feurigen Jünglinge mächtig angezogen wurden, in denen eine edle Flamme kriegerischer und vaterländischer Begeisterung loderte, und deren Leben schon in frühen Jahren so reich an denkwürdigen Ereignissen, an ehrenwerten Taten war. Jaromir besaß dazu jene volkstümliche, fast naive Lebhaftigkeit der Polen, die durch die fremdartige Behandlung der deutschen Sprache und daher häufig durch eine ganz eigene Weise der Darstellung bei ihm noch einen besondern Reiz gewann; Boleslaw dagegen war ernst in seinem Wesen, aber der Adel seiner Züge, seine hohe Marmorstirn, von dunkellockigem Haar umschattet, sein feuriges Auge sicherten ihm sogleich einen warmen Anteil. Dagegen mußten zwei junge Helden, die kaum auf Tage das rauhe Feldlager verlassen hatten, und denen ein vertraulicher Verkehr mit edeln, gebildeten weiblichen Wesen fast nur als eine Erinnerung aus dem Familienleben während ihrer Knabenzeit bekannt war, vielleicht noch schneller durch die Bande gefesselt werden, die sich so leicht zwischen natürlichen, jugendlichen Herzen knüpfen. Es pflegt unter solchen Verhältnissen zwar nicht so leicht eine tief eindringende Leidenschaft zu entstehen, weil das Flüchtige, Vorübergehende, Zukunftlose sich unabweisbar mitempfindet; doch der Augenblick macht dafür seine Rechte um so lebhafter geltend.
Diese beiden Paare genossen daher eines schuldlosen Glücks, ohne sich Rechenschaft über dessen Ursache zu geben; es erfüllte und bewegte ihnen die Brust gleich einem milden Frühlingstage, dessen beseligende Huld uns gleichfalls aus verborgenen Quellen in die Seele dringt und nur eine allgemeine Sehnsucht anregt, ohne unsern Blick auf bestimmte Hoffnungen zu leiten.
Bewußter in seinen Empfindungen war Bernhard, der durch gewaltige Flammen der Seele, gleich den Pflanzen des glühenden Südens, früher zu einem ungleich höhern Wuchs, zu reiferer Entfaltung aller seiner Kräfte gezeitigt war. In seiner Brust war
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