1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
worden sind, und nach ihrem entwischten Fang fragten. Ich wollte sie eher auf den Berg Sinai als auf den Gipfel des Porsbergs schaffen.«
Ludwig ging indessen aufwärts. Als er in die Nähe des Turmes kam, tönte ihm plötzlich ein »Wer da?« entgegen. Doch er erkannte schnell Rasinskis Stimme, der, abwechselnd mit Boleslaw, einen förmlichen Patrouillendienst versah. »Gut Freund!« rief Ludwig froh. »Endlich!« schallte es ihm entgegen, und Rasinski reichte ihm froh die Hand. »Wie wird Ihre Schwester sich freuen, die sich schon so um Sie geängstigt hat!« Gewissermaßen triumphierend führte er den Wiedergekehrten nach dem Turme zu, wo die Mädchen in banger Schweigsamkeit saßen, Marie jedoch halb lag, da der schmerzende Fuß ihr diese Stellung gebot. »Ludwig, bist du's endlich,« rief sie ihm entgegen, als sie seine Stimme hörte, und streckte die Hand nach ihm aus; »wie konntest du uns nur so lange in der bangen Sorge lassen!«
Ludwig entschuldigte sein Ausbleiben, der Verabredung mit Bernhard gemäß, so gut er konnte und verhieß den Mädchen eine nahe Erlösung aus dem seltsamen Gefängnis. »O, nun du bei uns bist und die Mutter von uns weiß, nun wollen wir gern ausharren,« antwortete Marie. Sie wollte ihn bitten, sich zu ihr zu setzen, doch er schlug es aus unter dem Vorwande, daß er ganz durchnäßt sei und daher lieber in Bewegung bleiben als sich setzen wolle. Die Hauptursache war aber die innere Unruhe, ob Bernhard eintreffen werde oder nicht; diese hoffte er besser zu verbergen, indem er mit den Männern draußen umherwandelte, denn der Regen hatte längst aufgehört.
Endlich nach einer, bangen halben Stunde hörte man Peitschenknall aus dem Walde und bald unterschied man auch das Geräusch der langsam heraufkommenden Wagen. Jetzt blinkte Laternenschimmer durchs Gebüsch und nach wenigen Minuten konnte man sich durch das Auge überzeugen, daß man sich nicht täusche. Jaromir kam zu Fuß voran und brachte die Nachricht, daß beide Mütter mit heraufkämen, damit man nachher einen bedeutenden Umweg ersparen könne. Gleich darauf rollte einer der Wagen heran; der Kutscher sprang gewandt ab, es war Bernhard. »Da sind wir,« rief er, »und zwar ich aus guten Gründen als Kutscher. Denn der eine der beiden Automedons hat sich so betrunken, daß er zu nichts zu gebrauchen ist. Wir haben ihn daher auf der Streu liegen lassen und ich war so frei, mich für den Erben seines Mantels zu erklären, da mein Wams bis auf den letzten Faden so naß ist, als wäre ich mit Odysseus um die Wette nach der Phäakeninsel geschwommen. Jetzt bin ich fast wieder trocken und nun magst du auch trocknen, Ludwig.« Damit nahm er den Mantel ab und hing ihn dem Freunde um, indem er ihm zugleich ins Ohr raunte: »Das ist deine Verkappung, man kann nicht wissen, was vorfällt. Du mußt uns auf dem Rückwege fahren; die Kutscher sind schon bestochen und wissen, was sie zu tun haben.«
Ludwig dankte durch einen unbemerkten Händedruck für die gewandten vorsorglichen Bemühungen des Freundes. Dieser war jedoch nicht dabei stehengeblieben, sondern darauf bedacht gewesen, in seinem Wagen einige Flaschen guten Weins und einen gehörigen Vorrat kalter Küche zu verpacken und mit hinaufzunehmen, damit man sich droben vor der Abfahrt ein wenig stärken könne und nicht nötig habe, in später Nacht wieder nach dem Wirtshause zurückzukehren, was Ludwigs halber gefährlich war. Als nach allen diesen guten Nachrichten und Anstalten nun endlich noch beide Mütter auf dem Berge eintrafen, die Bernhard durch das eigentlich falsche Vorgeben, daß man dadurch einen sehr bedeutenden Umweg ersparen könne, zu der nächtlichen Fahrt, die ihnen freilich ein wenig ängstlich erschien, beredet hatte, da war die letzte Sorge aus dem Herzen der drei Mädchen verschwunden und sie überließen sich nunmehr der heitersten Freude. Ja sie wurden sogar ein wenig stolz auf die romantischen Abenteuer des Tages und waren auch nicht die letzten, sich an den von Bernhard mitgebrachten guten Gaben zu erquicken.
Endlich schickte man sich zur Rückfahrt an. Sowohl Mariens Zustand, welche ihren Fuß ausstrecken mußte, als auch die späte Stunde ließen es schicklich erscheinen, daß die Frauen und die Männer gesondert fuhren. Überdies hatte Bernhard sehr gute Gründe, dies zu wünschen, denn im äußersten Falle war es immer besser, wenn alle Männer in einem Wagen beisammensaßen, zumal da auf diese Weise der Wagen der Frauen schwerlich irgendeinen
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