1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Antwort.«
»Ich will gestehen, ich hatte vor Zorn über diesen Elenden und aus Besorgnis um die Meinigen Tränen in den Augen. Mit Mühe bezwang ich meinen Unwillen so weit, daß ich mich nicht zu Dingen vergaß, die meine Lage nur verschlimmern konnten. In diesem Augenblicke trat einer der beiden Gendarmen ein und meldete halblaut, jedoch so, daß ich's hörte: ›Der Wagen ist schon auf der Fähre und wird jenseit der Elbe halten. Auch der Nachen ist bereit.‹«
»Auf diese Meldung gingen wir. Von jetzt an kennst du mein Schicksal; denn auf dem Wege, den wir einschlugen, wurdet ihr getreuen Freunde meine Retter.«
»Die wenigen Minuten, die wir auf deine Erzählung gewartet haben, sind nicht unnütz verflossen,« entgegnete Bernhard; »denn erst jetzt können wir einen Operationsplan entwerfen. Das größte Glück ist es, daß du dich nicht genannt hast; so soll ihnen das Nachforschen wohl vergehen, wiewohl es immer bedenklich bleiben wird, dich nach Dresden zu schaffen. Was in aller Welt aber können sie wollen?«
»Im ersten Augenblicke war ich durch die Verhaftung selbst zu aufgeregt, um ruhig nach den Gründen derselben zu forschen; jetzt aber hege ich allerdings eine Vermutung, doch kann ich dir darüber in diesem Augenblicke keine Auskunft geben. Vielleicht führt das Ganze aber nur zu meinem Glück, und auf die ungehoffteste Weise.«
»Nichts soll mir lieber sein als das,« entgegnete Bernhard; »einstweilen müssen wir aber auch anderer gedenken. Deine Schwester ist oben in einer sehr übeln Lage und deine Mutter drunten vielleicht in keiner bessern. Wir gingen hinab, um Nachricht zu bringen und die Wagen hinaufzusenden; dies müssen wir zuvörderst tun. Was dich selbst anlangt, so glaube ich, ist es am besten, du gehst von hier gerade hinauf und wartest ab, bis wir kommen. Droben magst du als Entschuldigung deines Ausbleibens angeben, es sei etwas an dem Wagen zerbrochen gewesen, dessen Ausbesserung sich von Minute zu Minute verzögert habe. Sprich auch, du seiest uns begegnet und wir hätten den Überrest der Besorgung übernommen, während du dich beeilt habest, die Nachricht davon heraufzubringen. Ich werde indessen unten alles einleiten und schlichten; auf keinen Fall aber erzähle ein Wort von deinem wirklichen Abenteuer. Und nun geleite dich Gott, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»O, meine Freunde!« rief Ludwig, »wie soll ich euch danken? Wer kann ermessen, welchem Unheil ihr mich entrissen habt.«
»Ei was,« rief Bernhard, »danke dem Zufall, aber nicht uns. Mir schießt bisweilen so ein Ding, was man im gemeinen Leben Ahnung nennt, durch die Seele, und das hat mich heute zu meinem eigentlich verrückten Handeln angetrieben. Schelten solltest du uns, wenn du nach der innersten Bedeutung der Handlung, nicht nach ihrem Erfolg richten wolltest. Denn falls man nicht wirklich so schurkenmäßig schlecht mit dir umging, falls deine Verhaftung nur, wie es uns doch am wahrscheinlichsten sein mußte, aus einem Mißverständnis oder doch aus einem ganz geringen Anlaß entstanden war, so konnte uns allen der unnötige Angriff auf die Gendarmen und die gewaltsame Rettung und Befreiung verteufelt schlecht bekommen und dich zehnmal tiefer in den Morast führen. Aber hinterdrein ist man klug. Indessen, eins muß ich sagen: eigentlich bleibt der Kunst die Ehre. Schwerlich hätte ich mein tolles Projekt ausgeführt, wenn ich nicht mit meinem Pinslerblick in deiner Physiognomie einige Linien erkannt hätte, die uns nicht von einer bloßen Verdrießlichkeit oder vom Unmut in die Stirn geschnitten werden. Trotz des unbestimmten Laternenschimmers aber hätte ich die Hostie darauf genommen, daß dir die Horizontal- und Vertikalstriche an dem Zentralpunkte der ganzen Physiognomie, nämlich an der Grenze zwischen Stirn und Nasenbein, von der Hand eines ernstlichen Unfalls eingezeichnet waren. Einen tüchtigen Meister kennt unsereiner sogleich an zwei, drei Schwungstrichen. Dem hast du's zu danken. Also: es lebe die Kunst! Und nun fliege frei wie ein Adler nach dem Gipfel dort oben hinauf, wo die Jungen ängstlich in dem Horst lauern. Glückliche Reise!«
Mit diesen Worten eilte er, Jaromir am Arm ergreifend, abwärts, ohne Ludwigs neu ausbrechenden Dank abzuwarten. »Meine beste Handzeichnung gäbe ich drum,« sprach er im Gehen zu Jaromir, »wenn uns die beiden Gendarmen begegneten und uns nach der Spur der zwei verteufelten Spitzbuben, von denen sie so völlig turnierwidrig aus dem Sattel gehoben
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