1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
und K. Hofdichter – und gibt so eine Chance auf!«
»Auch ein Sohn des Buchhändlers Göschen aus Leipzig, der Georg, und der Junge vom Buchhändler Anton aus Görlitz meldeten sich zu den Lützowern«, fuhr der Buchdrucker fort, der den Einwurf seiner Frau überging. »Du kennst sie, wir waren einmal während der Messe bei Göschens zum Tee eingeladen. Göschen musste übrigens letztes Jahr Wohnung und Geschäft in Leipzig ganz aufgeben und hat beides nach Grimma verlegt, weil die Geschäfte in Leipzig so schlecht gingen. Und Brockhaus zog nach Altenburg! Es steht nicht gut um die Buchstadt Leipzig.«
Henriette erinnerte sich vage an die beiden jungen Männer. Ihr Onkel nahm sie gern zu den Buchmessen nach Leipzig mit, weil er wusste, wie sehr sie Bücher liebte. Und welch aufregenderen Ort konnte man sich da vorstellen als die Leipziger Messe, wo die neuesten Erscheinungen der literarischen Welt vorgestellt wurden? Jedes Mal waren sie mit Kisten voller spannender Entdeckungen zurückgereist.
Einer von Göschens Söhnen hatte ihr damals ein wenig den Hof gemacht, was sie in große Verlegenheit brachte.
Doch klar stand ihr wieder Theodor Körners Bild vor Augen. Ob er sie jetzt wohl beachten würde, da sie etwas erwachsener und vielleicht auch hübscher geworden war? In Gedanken betete sie darum, dass den jungen Männern nichts geschah, die in den Krieg gezogen waren.
Wie stets, wenn Jette zu Besuch war, schob ihr Friedrich Gerlach sein unangerührtes Dessert hinüber. Sie liebte Süßes. Er selbst ließ sich noch etwas Kräutertee einschenken. An den Kaffeeersatz aus Kastanien mochte er sich einfach nicht gewöhnen.
»Vor ein paar Wochen sah es schon so aus, als würde sich das Blatt wenden, als würden wir unsere französischen ›Freunde‹ endlich loswerden«, fuhr er fort. »Seit dem Russlandfeldzug ist Napoleons Ruf der Unbesiegbarkeit dahin, seine Grande Armée ist verblutet – und mit ihr die meisten der mehr als zwanzigtausend Mann, die Sachsen für diesen Krieg stellen musste. Die Menschen sind es leid: den Krieg, die Einquartierungen, die Requisitionen. Es gab gewisse Anzeichen, dass auch unser König den Übertritt zu den Alliierten erwägt. Zumindest befürworten das einige Männer in seinem Kabinett und unter den Militärs. Der Oberst von Carlowitz zum Beispiel, der diese riesige Bibliothek zusammengetragen hat, von der ich dir erzählt habe, der Bruder unseres Kreisamtmanns. Sie brachten den König dazu, mit seinem Hofstaat ins Ausland zu gehen, erst nach Regensburg und jetzt nach Prag. In Sicherheit und außer Reichweite des Dämons, der ihn beherrscht, verstehst du? Dort findet er vielleicht den Mut, zu den Alliierten überzutreten und dem allen ein Ende zu bereiten … Aber mit dieser Schlacht gestern, der du dank Gottes Hilfe entkommen bist, kann nun alles wieder anders geworden sein.«
Er trank einen Schluck und ließ resigniert die Hände in den Schoß sinken.
»Es ist wirklich kaum zu fassen, dass Napoleon in so kurzer Zeit schon wieder eine solch gewaltige Armee auf die Beine stellen konnte. Das sind zumeist blutjunge Kerle, ohne jegliche Ausbildung und ohne Disziplin. Ihre Offiziere lassen sie gewähren. Da die meisten Gegenden schon unvorstellbare Mengen an Proviant aufbringen mussten, ist einfach nichts mehr für reguläre Lieferungen da. Deshalb wird geplündert. C’est la guerre, sagen sie – so ist der Krieg. Die Leute fürchten sich. Und sie haben allen Grund dazu.«
Verbittert zog Friedrich Gerlach die Schultern hoch. »Lasst uns beten, dass die Preußen und Russen gestern gesiegt und dem Ganzen ein Ende bereitet haben.«
»Das reicht jetzt aber!«, platzte Johanna heraus. »Kinder, ihr esst auf, und dann geht ihr hinaus! Was denkst du dir nur, den beiden Angst einzuflößen?«, rügte sie ihren Mann.
Friedrich Gerlach zog leicht die Augenbrauen hoch, bedeutete seiner Nichte mit einem Blick, die Tante gewähren zu lassen, und schwieg.
Als alle aufgegessen hatten, gab er Sohn und Nichte einen Kuss auf die Stirn und kündigte an, sich in die Bibliothek zurückzuziehen, wo er zu arbeiten habe.
Jette wartete, bis ihr Cousin wieder in die Werkstatt gegangen war. Dann bat sie ihre Tante mit einem Blick um Verzeihung und fragte den Oheim: »Zeigst du mir deine neuesten Kostbarkeiten? Bitte!«
Friedrich Gerlach hatte auf diese Frage gehofft und freute sich. Wie er Jette kannte, wollte sie jetzt nicht seine interessantesten neuen Bücher sehen, sondern seine geheimsten
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