1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Zeile aus meiner Druckerei sind vom Zensor genehmigt«, versicherte Friedrich Gerlach. Dann lächelte er. »Aber manchmal, mit etwas Glück, kann ich ihm ein Schnippchen schlagen.«
Begierig auf Einzelheiten, schob Henriette den leeren Teller von sich und sah ihren Onkel an.
»Du kannst dir nicht vorstellen, welcher Aufruhr in Dresden und bis hierher herrschte, als Napoleon vor sechs Wochen die schöne steinerne Augustusbrücke sprengen ließ, die der berühmte Baumeister Pöppelmann zu einem Prachtwerk umgestaltet hatte«, erzählte dieser. »Wenn Sachsen je zu einem Aufstand bereit wäre – das hätte das Fanal werden können! Darüber durfte ich natürlich nichts veröffentlichen, obwohl jedermann es wusste. Aber dass der Künstler Veith ein Bildnis der Ruine zur Erinnerung an die Schönheit des Bauwerkes in Kupfer stechen will und wir dieses Bild sowie eine Abhandlung über die Geschichte der Brücke drucken werden, das waren natürlich Neuigkeiten aus dem kulturellen Leben, und die habe ich durchbekommen.«
Er lächelte noch etwas breiter und zwinkerte Henriette verschwörerisch zu. »Es gibt jede Menge Vorbestellungen für diesen Sonderdruck.«
»Wir können durchaus einiges tun, um den Menschen zu helfen«, fiel Johanna ein, die gern das Gespräch in harmlosere Bahnen lenken würde. »Beiträge zur Stadtgeschichte dienen der Erbauung und dem patriotischen Gedanken. Und wir bieten den Lesern nicht nur Bildung, sondern auch Ratschläge, die ihr Leben erleichtern. Zum Beispiel die neuesten Erkenntnisse des Herrn Professor Lampadius über die Herstellung von Zucker aus Kartoffelstärke und Kaffeeersatz aus Esskastanien.«
Beides war infolge der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre nicht mehr legal zu bekommen, und wie Jette schon von einem früheren Besuch her wusste, hatte der Freiberger Chemiegelehrte Ersatz dafür entwickelt und die Anleitung dazu in den
Gemeinnützigen Nachrichten
veröffentlicht.
»Der Herr Professor veranstaltet jetzt sogar Kurse für die hiesigen Hausfrauen, damit sie selbst Zucker herstellen können«, berichtete Johanna ehrfürchtig. »Und als abzusehen war, dass wir hier russische Einquartierung bekommen, brachte mein kluger Gerlach mehrere Extradrucke heraus, zum Beispiel kleine Sprachführer für Russisch oder Abhandlungen über die Gepflogenheiten der Kosaken, Baschkiren und Kalmücken – sehr hilfreich, um Missverständnisse zu vermeiden.«
»Wie lief es denn hier mit der Einquartierung?«, fragte Henriette beklommen. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.
»Besser als erwartet«, berichtete die Tante überschwenglich. »Vor einem Monat kamen Preußen und Russen in die Stadt, der berühmte Blücher selbst und über eintausend Kosaken unter Oberst Prendel, der ja eigentlich ein Tiroler ist. Was für ein verwegenes Volk, diese Kosaken! Welche Kunststückchen sie im Sattel fertigbringen, das glaubt man nicht, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Sie waren auch gar nicht so wild, wie wir befürchtet hatten; im Gegenteil, sehr höflich. Man hatte sie wohl angewiesen, die Sachsen freundlich und nicht als Feinde zu behandeln.«
»Obwohl Sachsen als Mitglied des Rheinbundes aufseiten Napoleons steht und damit Gegner der preußisch-russischen Alliierten ist«, dozierte Friedrich Gerlach mit erhobenem Löffel. »Es soll vor allem Blücher gewesen sein, der sich dafür einsetzte. Er rief die Sachsen sogar auf, sich mit den Preußen zu vereinen und gemeinsam gegen die fremden Unterdrücker zu kämpfen.«
Henriette stockte der Atem. »Und? Werden sie folgen?«
»Sosehr ich mir das wünschte – ich glaube nicht, dass sie es tun werden. Es gibt zwar auch hier Leute, die den König von Reformen und einem Seitenwechsel überzeugen wollen. Aber deren Stimme besitzt nicht genug Gewicht. Wir haben hier eine gänzlich andere Lage als in Preußen. Du warst damals noch zu klein, um das zu verstehen. Nach den Schlachten bei Jena und Auerstedt war Preußen 1806 beinahe vollständig vernichtet. Der König und seine Königin flüchteten in den hintersten Zipfel ihres Landes, nach Memel, und mussten Schmuck und Tafelsilber versetzen, damit noch etwas zu essen auf den Tisch kam.«
»Es heißt, Königin Luise – Gott hab sie selig! – soll sogar selbst gekocht haben. Erbsensuppe«, warf Johanna rasch ein.
Einen Moment lang versuchte sich Jette vorzustellen, wie die Königin das Herdfeuer schürte, doch dabei versagte ihre sonst oft überbordende Phantasie. Wenn auch Luise
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