1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Österreicher rücken, nach Zweinaundorf die Kosaken … und weiter westlich stünden Unmengen Russen, Preußen und Österreicher …«
Sie hielt einen Augenblick inne, beugte sich leicht vor, die Hände auf die Schenkel gestützt, atmete ein paarmal tief ein und richtete sich wieder auf. »Überall flüchtende Menschen … Die einen fliehen aus den Dörfern in die Stadt, die anderen aus der Stadt in die Dörfer. Kranke, Wöchnerinnen, Sterbende mit dem Bettzeug auf einem Karren, manche haben ihr letztes Stück Vieh dabei …«
Nach anstrengendem Marsch erreichten sie das Seifertshainer Pfarrhaus und wurden dort von der Mutter und den übrigen Kindern mit Freudenschreien und Tränen begrüßt.
»Dass ihr heil und gesund wieder hier seid – ich kann es kaum fassen!«, sagte die Pfarrersfrau und schluchzte vor Erleichterung. »Ihr ahnt ja nicht, was hier inzwischen los war!«
Noch bevor ihr Mann seine beiden jungen Begleiter vorstellen konnte, redete Charlotte Wilhelmine Vater aufgeregt weiter: »Das geht ja schon seit Tagen, dass hier Unmengen an Truppen durchziehen. Und jeder verlangt, verpflegt zu werden. Bisher haben sie sich ganz anständig benommen, und wir gaben, was wir konnten.«
Nun wandte sie sich an ihren Mann. »Aber heute kam eine Gruppe französischer Trainsoldaten, die wollten nach Herzenslust plündern. Wenn mir der Nachbar Johlig nicht zu Hilfe geeilt wäre – die hätten alles mitgenommen! Dann kamen die Nächsten, mit einem Bayern an der Spitze, die waren auch nicht besser. Die wussten wohl, dass gerade kein Mann im Haus war. Aber ich hab mir keine Angst einjagen lassen!«, behauptete sie kategorisch, und das glaubte Jette ihr aufs Wort. »Es gab hier schon die ersten Vorpostengefechte. Also versuchte jeder im Dorf, die Kinder, das Vieh und seine Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Wenigstens seid ihr heil zurück, der Herr sei gepriesen!«
Die Frau des Pfarrers hatte während ihrer Rede einen großen Topf mit Kartoffeln auf den Herd gesetzt und das Feuer darunter kräftig geschürt. Bald sprudelte das Wasser im Topf.
Die jüngeren Mädchen deckten den Tisch. Felix bot an, Holz zu hacken oder irgendeine andere Arbeit zu übernehmen.
Jette setzte sich zu Auguste auf die Ofenbank und half ihr, aus Leinenstreifen Fäden zu ziehen, um daraus Charpie herzustellen.
»Du machst das sehr geschickt!«, lobte die Pfarrerstochter.
»Ich pflege schon seit Monaten Verwundete, und es mangelt uns dabei so sehr an allem …« Jette strich sich mit dem Handrücken eine lose Strähne beiseite.
»Hier wird vermutlich ab morgen überall gekämpft«, sagte Auguste Vater sehr gefasst. »Es wird Tausende Verwundete geben. Wir werden in der Kirche und überall, wo sonst noch Platz ist, Notlazarette einrichten müssen. Willst du nicht bleiben und uns dabei helfen? Du bist in der Krankenpflege erfahren, und hier wird bald jede Hand gebraucht, um den Leidenden ihr Los zu erleichtern.«
»In Leipzig auch«, war alles, was Henriette antwortete.
Kanonendonner ganz in der Nähe unterbrach die Unterredung. Jedermann im Haus bekreuzigte sich und versank in eigenen, düsteren Gedanken.
Nach dem kargen und doch wohltuenden Mahl – Pellkartoffeln mit Salz und ein winziger Klecks Butter, eine Kostbarkeit in diesen Tagen – bat die Pfarrerstochter Jette und Felix vor die Tür.
Es war nun ganz dunkel draußen. Und so konnten sie sehen, dass das ganze Land bis zum Horizont mit Tausenden Wachtfeuern übersät war.
Sich vorzustellen, dass um jedes dieser Feuer ein oder zwei Dutzend Soldaten saßen, die allesamt am nächsten Tag gegeneinander kämpfen würden, jagte Henriette einen Schauer über den Rücken.
»Wollt ihr nun immer noch nach Leipzig?«, fragte Auguste Vater besorgt, fast schroff.
»Ja. Wir müssen«, beharrte Jette.
Also brachen sie am nächsten Morgen in aller Frühe auf und liefen nach Liebertwolkwitz. Von dort aus führte eine Straße direkt nach Leipzig.
Und so waren sie nun ungewollt genau an den Ort geraten, wo die große, alles entscheidende Schlacht eröffnet wurde.
Flucht in die Nacht
Liebertwolkwitz und Leipzig, 14 . Oktober 1813
I mmer noch drang heftiger Kampflärm durch die offenen Fenster der Kirche. Jette musste lauter und lauter sprechen, damit wenigstens ihre jungen Zuhörer das Interesse nicht auf das Gemetzel jenseits der Mauern richteten, sondern auf ihre Geschichten.
Plötzlich gellte eine Stimme durch das Kirchenschiff: »Das Dorf brennt! Sie brennen unsere Häuser nieder!
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