1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Die ganze Windmühlengasse steht schon in Flammen!«
Einer der Männer hatte vorsichtig aus einer Turmöffnung gespäht und brüllte die Schreckensnachricht sofort hinaus.
Seine Worte bewirkten entsetzte Schreie und Wehklagen. Einer nach dem anderen erfuhren die Dorfbewohner, dass sie kein Dach über dem Kopf mehr besaßen. Die Kinder rannten zu ihren Eltern, einige mussten mit strengen Worten davon abgehalten werden, aus den Fenstern zu schauen.
Jetzt würde auch die schönste Geschichte niemanden mehr beruhigen. Henriette erhob sich von ihrem Platz und setzte sich ohne ein Wort wieder zu Felix, der ebenfalls schwieg. Aufmerksam hörte er auf jedes Geräusch von draußen, um zu erraten, was dort vor sich ging.
Mit lautem Knarren wurde die halb zersplitterte Kirchentür geöffnet. Schlagartig trat Totenstille ein.
Ein französischer Offizier betrat das Gotteshaus. Der linke Ärmel seiner Uniform war aufgeschlitzt, zwischen den auseinanderklaffenden Stoffrändern klebte verkrustetes Blut.
»Wieso halten Sie sich hier auf, an einem so gefährlichen Ort?«, fragte er streng in gut verständlichem Deutsch.
Niemand antwortete.
»Wir haben die Österreicher schon zweimal aus dem Dorf vertrieben, aber sie lassen nicht locker. Sollte diese Kirche in die Schusslinie kommen, müssen Sie unverzüglich hinaus!«, wies der Offizier sie an. »Ich schicke Ihnen Nachricht, wenn es so weit ist.«
Seine Worte hallten durch das Kirchenschiff.
Ohne Antwort zu erwarten, ging er und schloss ganz unnötigerweise den kaputten Türflügel wieder.
Manche Familien fielen sich weinend in die Arme, andere beteten. Dutzende Augenpaare starrten ängstlich auf die Tür. Wann würde sie sich wieder öffnen?
Wenn sie hinausmussten … mitten ins feindliche Feuer, in den Kugelhagel … Und wo sollten sie Schutz finden, nachdem ihre Häuser niedergebrannt waren?
Felix und Henriette saßen immer noch nebeneinander.
Wie der einstige Volontärjäger am Kampflärm erkannte, unternahmen die Österreicher gerade einen weiteren Versuch, Liebertwolkwitz einzunehmen. Eine kurze, auf Französisch gebrüllte Unterredung vor der Kirche verriet ihm, dass dies das Korps von General Klenau war – genau jenes, das auf dem Weg nach Dresden durch Freiberg kam und dann noch einmal nach der verlorenen Schlacht, auf der Flucht in die Berge.
»Es wird nicht mehr lange dauern«, flüsterte er Jette zu. »Halte dich bereit; wir werden schnell sein müssen, wenn es so weit ist.«
Da sie sich als Geschwister ausgaben, hatten sie sich gleich zu Beginn ihrer Reise darauf geeinigt, einander zu duzen, um keinen Verdacht zu erregen. Inzwischen fühlte es sich für Henriette wirklich fast so an, als wäre Felix ihr großer Bruder. Jemand, auf den sie sich unbedingt verlassen konnte.
Nun musste sie nicht mehr allein über Leben und Tod entscheiden wie damals bei der Flucht mit Franz.
Sie zog den Henkelkorb näher zu sich, der das wenige enthielt, das sie mitgenommen hatte: nichts außer ihrer Kleidung und etwas Zwieback. Kein einziges Buch, denn die in der Bibliothek des Oheims gehörten ihr nicht. Sie würde wohl auch keines mehr brauchen. Auch das hätte sie sich in ihrem früheren Leben nie träumen lassen.
Um zu barem Geld zu kommen, hatte sie vor dem Aufbruch in aller Heimlichkeit das Ballkleid zum Schneidermeister gebracht und ihn gefragt, ob er es ihr abkaufen würde. Der sah sie mitleidig an und strich hingebungsvoll über den kostbaren Stoff. »Ist die Not so groß, dass Sie sich davon trennen wollen?«
»Bitte sagen Sie dem Oheim und der Tante nichts davon!«, hatte sie gefleht.
»Ich kaufe normalerweise nichts zurück. Aber es ist ein so außergewöhnlich schönes Kleid und nur ein einziges Mal getragen. Es stand Ihnen hervorragend! Ich werde es umarbeiten müssen, damit man es nicht gleich wiedererkennt. Wenn morgen die Russen hier Einzug halten, feiern sie hoffentlich auch Freudenfeste und geben Bälle, statt zu plündern!«
Er nannte ihr als Preis den reinen Schneiderlohn, ohne den kostbaren Stoff einzurechnen. Aber sie konnte in ihrer Lage nicht lange feilschen und nahm das Geld. Bis auf ein paar kleine Münzen nähte sie das meiste davon ins Unterkleid ein.
Ihre einzige sonstige Habe waren jetzt, sorgsam in Wachstuch eingeschlagen und im Korb zwischen den wenigen Kleidungsstücken versteckt, die Briefe, die sie in Freiberg bekommen hatte. Einige davon.
Die meisten hatte sie vor dem Aufbruch verbrannt: Étiennes Hochzeitsversprechen,
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