1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
schnell linksherum zur Straße. Die Kinder sollen die Augen schließen oder nur nach vorn schauen, nicht auf den Boden, nicht auf die Mauer!«
Ohne Widerspruch befolgten die Dorfbewohner seine Anweisungen.
Und sofort erklärte sich, weshalb die Kinder die Augen schließen sollten. Die Erwachsenen wünschten sich, sie könnten es ebenfalls angesichts des grauenvollen Anblicks, den sie nun zu sehen bekamen.
Da waren nicht nur die brennenden Häuser,
ihre
Häuser …
Sie sahen Tote über Tote, gegen die Kirchhofmauer gelehnt, auf dem Boden ausgestreckt, mit zerfetzten Gliedmaßen, Blutflecken und Einschusslöchern in den Uniformjacken, Bajonetten in den Leibern, die Gesichter im Todeskampf vor Schmerz verzerrt. Etliche der Leichname trugen französische Uniformen, aber noch mehr österreichische.
Hintereinander und geduckt huschten die Dörfler aus dem Kirchhof und rannten nach links, wie Felix gesagt hatte, denn zwanzig Schritte von ihnen entfernt auf der rechten Seite tobten erbitterte Reiterkämpfe.
Auf der Straße kniete die Sattlertochter neben dem Leichnam ihrer Mutter und wehklagte: »Sie haben sie erschossen! Warum ist sie nicht im Haus geblieben?«
Jemand rannte zu ihr, ergriff sie am Arm und zog sie mit sich.
Jette nahm einer Wöchnerin, die sich kaum auf den Beinen halten konnte, ihr Neugeborenes ab und drückte es fest an sich.
Da packte sie etwas am Knöchel. Sie fuhr zusammen und schrie entsetzt auf.
Ein Mann, den sie für tot gehalten hatte, ein einfacher Soldat in heller Uniform, umklammerte ihren Fuß mit blutverschmierter Hand und röchelte: »Helfen Sie mir!«
Instinktiv wollte sie sich zu ihm bücken, aber Felix riss sie wieder hoch.
»Du kannst ihm nicht helfen! Wir müssen mit den Dorfbewohnern fort, wir sind hier mitten im Gefecht!«
Er sollte in beiderlei Hinsicht recht behalten: Dem Österreicher hingen die zerfetzten Gedärme aus dem Leib, nichts konnte ihn retten. Und jetzt geriet die Kirche unter heftigen Beschuss.
So rannten sie weg vom Schauplatz des Kampfes, Richtung Leipzig. Anfangs liefen sie, so schnell sie konnten, bis sie kaum noch Atem hatten. Nicht nur Liebertwolkwitz, sondern auch mehrere andere Ortschaften standen in Flammen.
Ich hätte ihr das ausreden müssen, warf Felix sich vor. Ich hätte sie nie und nimmer hierherbringen dürfen!
Felix musste sich keine Vorwürfe machen. Nicht einmal die Heerführer wussten an diesem 14 . Oktober, wo genau der Kampf beginnen würde. Weder Napoleon Bonaparte noch das Hauptquartier der Alliierten besaß exakte Angaben der Positionen des Gegners. Aber alle hatten ihre Truppen auf Leipzig in Bewegung gesetzt, aus sämtlichen Richtungen. Nun sollten Kavallerieeinheiten erkunden, wo der Feind stand.
Der Kampflärm vom Vorabend, den Felix und Henriette in Seifertshain gehört hatten, war ein kurzer, aber denkwürdiger Auftakt.
Zwei schon zu Lebzeiten legendenumwobene Heerführer prallten mit ihren Truppen aufeinander: der berühmte Hetman Platow mit seinen tausend Kosaken und Fürst Józef Poniatowski , Kriegsminister des Herzogtums Warschau, ein Mann von herausragendem Mut und Reitergeschick, der nahezu einhunderttausend Polen auf dem Russlandfeldzug angeführt hatte. In ihm sahen die Polen ihren künftigen König, wenn Napoleon erst ihr Land wiederhergestellt haben würde, das Russland, Preußen und Österreich unter sich aufgeteilt hatten.
Diesmal gab es für Platows Kosaken keine Chance gegen die vielfache Übermacht; sie zogen sich nach kurzem, heftigem Gefecht zurück.
So war es für sämtliche Heeresabteilungen am Morgen des 14 . Oktober wie ein Stochern im Nebel, wo man nun auf den Feind treffen würde.
Joachim Murat , der König von Neapel, hatte südlich von Leipzig auf dem Höhenzug zwischen Markkleeberg, Wachau und Liebertwolkwitz zweiundvierzigtausend Mann um sich versammelt. Darunter zehntausend Mann der besten Kavallerieeinheiten der Grande Armée wie General Poniatowskis Polen und Marschall Augereaus aus Spanien zurückbeorderte Kämpfer. Dort wartete er auf den Feind mit der ausdrücklichen Order seines Schwagers und Kaisers, diese Stellung um jeden Preis zu halten. Nur dann konnte Napoleon Bonaparte seine gesamte Armee in Leipzig vereinen, deren größte Kontingente noch in Eilmärschen unterwegs hierher waren.
Bei den Alliierten hatte Blücher sein Hauptquartier an diesem Morgen noch in Halle, der Zar und Schwarzenberg weilten in Altenburg, der Kronprinz von Schweden in Köthen, der König von
Weitere Kostenlose Bücher