1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
als Frege.
»Ich habe Sie hierher in die Kommandantur gebeten, statt Sie in einem der Lazarette zu treffen, damit wir ungestört reden können«, eröffnete Larrey das Gespräch. »Auch wenn ich weiß, dass Sie in diesen Tagen alle sehr beschäftigt sind. Auf Sie, Monsieur Multon, warten die Verwundeten ebenso wie auf mich, und Sie, Monsieur Frege, sollten jetzt wohl eigentlich auf der Messe Handel treiben …«
»Messe kann man es diesmal kaum nennen«, erklärte der Bankier und Kaufmann finster. »Des Krieges wegen sind nur Händler von sehr weit her angereist, die nicht wussten, welche Zustände sie hier erwarten. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass ihre wertvollen Waren nicht noch geplündert werden, sonst ist der Ruf unserer Messe ruiniert. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich angesichts der Lage derzeit als Lazarettverwalter.«
Larrey nickte zustimmend und sah kurz von einem zum anderen.
»Sind Sie drauf vorbereitet, in den nächsten Tagen hunderttausend Verwundete aufzunehmen?«
Hätte er plötzlich eine Pistole gezogen und im Raum abgefeuert, die Wirkung wäre nicht größer gewesen.
»Hunderttausend!«, ächzte Multon.
Frege wurde blass, der Schreiber Münchow riss die Augen auf.
Dominique Jean Larrey breitete die Hände aus. »Haben Sie gesehen, wie viele Bataillone schon um Leipzig stehen? Und wissen Sie, wie viele noch auf dem Weg hierher sind? Rechnen Sie mit fünfhunderttausend Kombattanten, halten Sie sich vor Augen, dass dies eine Entscheidungsschlacht sein wird, und dann ist es noch eine
optimistische
Schätzung, dass lediglich jeder Fünfte verwundet wird. Selbstverständlich spreche ich nicht nur von französischen Soldaten. Sie werden hier Angehörige
jedweder
Nation aufnehmen müssen.«
Den letzten Satz hatte er mit einiger Schärfe gesprochen – unnötigerweise.
»Monsieur Larrey, lassen Sie mich versichern, dass wir hier unser Bestes tun. Doch es mangelt an allem!«, erwiderte Multon geradezu verzweifelt. »Wir haben das Nervenfieber und die Ruhr in der Stadt und sind vollkommen überfüllt! Allein nach den beiden Schlachten vor Berlin sind neuntausend Verwundete in der Stadt eingetroffen – zusätzlich zu denen, die bereits hier lagen. Mittlerweile sind neben den Hospitälern auch noch fast alle Kirchen als Notlazarette eingerichtet …«
»Ich habe mich heute Nachmittag in Ihren Lazaretten umgeschaut«, unterbrach ihn Larrey. »Ich sah, dass Sie tun, was Sie können, und ich sah, woran es mangelt. Ich weiß auch, dass Leipziger Ärzte im Mai nach der Schlacht von Lützen aufs Schlachtfeld gezogen sind und sich um unsere Verwundeten gekümmert haben. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar.«
»Hunderttausend können wir nie und nimmer versorgen! Diese Stadt hat zweiunddreißigtausend Einwohner!«, klagte Multon. »Ich weiß nicht mehr, woher ich noch Helfer nehmen soll, geschweige denn medizinisch ausgebildetes Personal. Wir hatten im Frühjahr vier zusätzliche Hospitäler eingerichtet, im Place de repos, im Ranstädter Schießgraben, hinter der Angermühle und in der alten Ziegelscheune. Doch die reichen längst nicht mehr. Das Sankt-Georgen-Armenhaus, Kirchen und Schulen, selbst das Gewandhaus sind jetzt schon voll von Verwundeten … Ich werde noch das Kornhaus räumen lassen, dort können etwa sechstausend Mann unterkommen.«
»Es nützt nichts zu jammern«, mahnte Larrey unnachgiebig. »Halten Sie sich an folgende Regel: Schicken Sie jeden transportfähigen Operierten, so schnell es geht, auf direktem Weg in sein Heimatland. Das entlastet die Lazarette, und es verhindert, dass sich die erfolgreich Operierten mit Typhus anstecken und daran sterben. Was können Sie Ihrerseits tun, damit die Seuche nicht die ganze Stadt ergreift?«
»Wir veröffentlichten mehrfach Aufrufe über den Umgang mit ansteckenden Krankheiten«, erklärte der Erste Wundarzt der Stadt.
»Was empfehlen Sie?«
»Mineralsaure Räucherungen …«
»Sind denn noch die Ausgangsstoffe dafür vorrätig?«, fragte Larrey fast ironisch, und Multon verneinte erwartungsgemäß.
»Ansonsten Essig, allgemeine Sauberkeit und leichte Kost«, zählte der Wundarzt auf.
Der französische Arzt nickte zustimmend.
»Gestern erst erging ein erneuter Aufruf an die Bevölkerung, Leinen und Charpie zu spenden«, fuhr Multon fort.
»Mit Erfolg?«
»Jeder gab schon, was er entbehren kann. Wir zahlen den Leuten Geld dafür. Wer es nicht braucht, soll es für die Armenstiftung spenden …«
»Lazarettstroh!«, warf plötzlich
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