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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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Vorstellung vom Purgatorium, vom Fegefeuer.
    Herr, wie kannst du so etwas zulassen?, dachte sie schaudernd. Wie können Menschen sich so etwas antun?
    Nun grollte Geschützdonner von Norden her – Blüchers Angriff. Henriette war noch nicht einmal am Markt angekommen, als die ersten Kanonenkugeln in die Stadt fielen; auf einen Erker in der Nikolaistraße, auf das Weiße Ross … Ziegel splitterten und fielen krachend zu Boden.
    Schreiend liefen die Menschen durch die Straßen, duckten sich ängstlich oder schlugen die Hände über den Kopf, als könnte sie das retten.
    Vor der Thomaskirche stand ein Karren, auf den Leichen gehoben wurden, um sie aus der Stadt zu schaffen.
    »Schon die dritte Fuhre heute«, sagte der Kärrner, der sie auf irgendeine Art an Josef Tröger erinnerte. »Und das wird nicht die letzte sein.«
    »Sind denn so viele in der Nacht gestorben?«, fragte sie einen der beiden Männer, die die Toten auf den Wagen hievten. »Und wer kümmert sich um all die Verwundeten dort auf den Straßen?«
    »Was weiß denn ich?«, erwiderte dieser und zuckte mit den Schultern. »Jeder, der sich noch auf zwei Beinen hält, ist zu Schanzarbeiten oder zu dem hier verpflichtet. Und schauen Sie dort!«
    Er wies auf die gegenüberstehenden Häuser, aus denen französische Soldaten gerade alles heraustrugen, was sich heraustragen ließ: Proviant, Geschirr, Bettgestelle, Decken …
    Das Klagegeschrei der Hausbewohner kümmerte sie nicht. »So geht es überall in der Stadt zu. Können Sie sich vorstellen, Fräulein, wie den armen Leuten hier zumute ist?« Er spie aus. »Das ist dabei herausgekommen, mit diesem Bonaparte! Warum müssen ausgerechnet wir dafür herhalten?«
    Wütend wies er Richtung Kirchentür. »Haben Sie dadrinnen nicht schon genug zu tun? Statt sich noch Sorgen um die hier draußen zu machen? Irgendwann schicken die Ratsherren schon jemanden, der
das
da wegräumt.«
    Seine Worte gingen Jette durch und durch. Hastig wandte sie sich ab und betrat die Kirche. Das Elend hier drinnen schien ihr auf einmal nicht ganz so unerträglich wie das unter freiem Himmel. Vielleicht, weil weniger Licht darauf fiel, weil hier kein eisiger Wind blies. Vielleicht aber auch, weil es durch die starken Mauern, die es umgaben, abgeschlossen und damit nicht
unendlich
schien.
    Sie meldete sich beim verantwortlichen Wundarzt und ließ sich erneut eine Arbeit zuteilen.
    Den Leidenden und Sterbenden, die auf dem nackten Boden lagen, etwas Wasser zu bringen. Viel mehr konnte sie nicht tun.
    Es gab kein Brot. Es gab kein Stroh. Es gab kein Leinen für Verbände. Von Medikamenten ganz zu schweigen.
    Alles ist vergebens, dachte sie verzweifelt. Wir sind alle verloren.
    Bis der erste Fiebernde, dem sie Wasser brachte, sagte: »Gott segne Sie … petit ange … kleiner Engel …«
    Da zwang sie sich ein Lächeln ins Gesicht.
     
    Stunden schienen seitdem vergangen; von dem Kanonendonner war jedenfalls nichts mehr zu hören. Als Henriette zum Brunnen auf dem Thomaskirchhof ging, um den Eimer mit frischem Wasser zu füllen, hörte sie jemanden ihren Namen rufen.
    Erstaunt drehte sie sich um und ließ den Eimer vor Schreck fallen. Eiskaltes Wasser schwappte heraus und durchnässte ihre Füße.
    »Was machst du denn hier?«, fauchte sie ihren Cousin Eduard an.
    Der ließ sich nicht abschrecken, sondern lächelte, um Versöhnung bittend. Er sah erschöpft aus, müde, seine Kleidung mitgenommen, und doch blitzte ein Fünkchen Triumph in seinen Augen auf.
    »Ich wusste, dass ich dich hier finden werde! Alle waren so verzweifelt. Vater schrieb Briefe an sämtliche Bekannte, um dich aufzuspüren. Aber ich wusste, du würdest dorthin gehen, wo es am schlimmsten ist, und das tun, was du immer getan hast: Verwundete pflegen.«
    »Und das trieb dich dann hierher?«
    Eduard schob mit der Fußspitze ein paar nasse Herbstblätter beiseite. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen.«
    Nun sah er ihr in die Augen. »In Freiberg hab ich einige hässliche Dinge zu dir gesagt. Das tut mir leid. Du hattest recht. Wenn man all das Elend hier sieht – so etwas wünscht man niemandem.«
    Er wies mit dem Arm auf die Verwundeten, die auf der Straße lagen. »Egal, wofür oder wogegen sie gekämpft haben. Niemand sollte so elendig sterben.«
    »Dann kannst du mir ja helfen!«, sagte sie ein wenig schroffer als beabsichtigt. Mit seinem Erscheinen hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Sie wollte aus dem Leben der Gerlachs verschwinden. »Wie bist du überhaupt

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