1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
seiner Brigade, ihm zu folgen, ohne die Waffen zu ziehen. Sein König, Friedrich von Württemberg, hatte ihn angewiesen, die württembergischen Truppen nach Kräften zu schonen. Dies war der einzige Weg dazu.
Dass er persönlich weder bei seinem launenhaften König noch bei den Alliierten Gnade finden würde, sondern froh sein musste, wenn ihn die Preußen wegen des Überfalls auf die Lützower in Kitzen nicht sofort exekutierten, war General Karl Graf von Normann-Ehrenfels durchaus bewusst. Aber er wollte in einer ausweglosen Lage nicht noch seine letzten knapp sechshundert Mann dem sicheren Tod preisgeben.
Auch die Württemberger wurden mit Jubel von den Russen empfangen, der General umgehend zum Kaiser von Österreich und dem russischen Zaren geführt. Sie gestatteten den Überläufern, bewaffnet hinter den Reihen zu bleiben, ohne noch ins Kriegsgeschehen eingreifen zu müssen.
Überläufer
Bei Paunsdorf, 18 . Oktober 1813 , nachmittags
D iese Neuigkeiten brachten Birnbaums Artilleristen mit, und das machte sofort unter den anderen Sachsen die Runde.
Nur wenige Soldaten entrüsteten sich darüber, dass die Überläufer den Treueeid für den König gebrochen hatten. Die meisten beneideten diejenigen, die es lebend auf die andere Seite geschafft hatten, nun voraussichtlich nicht mehr kämpfen mussten und sicher etwas zu essen bekamen.
»Das ist noch nicht einmal alles«, erklärte einer der Kanoniere mit gewichtiger Miene, ein Dresdner von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er hielt inne und sah zu seinen Gefährten, die mit zynischem Tonfall Äußerungen von sich gaben wie: »Jetzt hört schön zu!« Oder: »Gleich kommt der ganz dicke Hund!«
Der Kanonier kostete den Moment der Spannung unter den kriegsmüden Sachsen aus, dann sagte er: »Die Franzosen bereiten ihren Rückzug vor. Sie haben schon Bertrands Viertes Korps nach Weißenfels geschickt, um dort die Saaleübergänge zu errichten. Und seit dieser Nacht fahren Trainwagen aus Leipzig hinaus, einer nach dem anderen, mit den kostbaren Besitztümern der Generäle und Marschälle!«
»Und uns lassen sie hier verrecken!«, rief Mattes; die anderen fielen in sein Wutgeschrei ein.
»Das wird wieder wie in Russland«, murrte der Korporal Friedhelm. »Da mussten wir auch den Rückzug decken, ständig unter feindlichem Feuer. Fast alle von uns sind krepiert. Dann macht euch auf was gefasst … Und übt schon mal euer letztes Gebet!«
»General, wir haben die Lage nicht mehr unter Kontrolle! Wir müssen uns von den Franzosen lossagen«, appellierte General von Ryssel an den Divisionskommandeur.
Doch General von Zeschau blieb hart. »Nur auf Befehl Seiner Majestät!«, sagte er in einem Tonfall, der jegliche weitere Debatte abwürgte.
Dabei fragte er sich, wann Nostitz endlich mit einer Antwort zurückkam. Oder mit
irgendeinem
Schriftstück, denn lange würde er eine Meuterei nicht mehr aufhalten können. Es sei denn, er ließ ein paar Mann zur Abschreckung hinrichten. Aber er hatte Zweifel, ob eine derart drastische Maßnahme jetzt noch den gewünschten Effekt bringen würde. Seine Offiziere hatten recht, die Lage geriet außer Kontrolle.
Und dass Marschall Ney hier aufgetaucht war und sich mit Reynier darüber stritt, ob Paunsdorf zurückerobert werden solle, trug nicht gerade dazu bei, sie zu entschärfen.
Ney bestand darauf, setzte sich als Ranghöherer durch, ließ seine Franzosen aber abmarschieren – was bedeutete, die Sachsen standen dem Feind mit einer ungeschützten Flanke gegenüber und liefen Gefahr, umzingelt zu werden.
Ungeduldig ließ Zeschau drei Reiter ausschwärmen, um nach dem Kapitän von Nostitz Ausschau zu halten.
Eine Viertelstunde später tauchte der Gesuchte auf.
»Haben Sie die Antwort des Königs?«, herrschte Zeschau ihn an.
Von Nostitz nickte. General von Zeschau ließ Generalstab und Offiziere zusammenrufen.
»Dies ist die Antwort des Königs!«, rief er. »Seine Majestät erwartet, dass wir weiterhin treu unsere Pflicht erfüllen, und empfiehlt uns dabei Gottes heiligem Schutz.«
»Das lässt sich so oder so deuten«, wagte der Oberst von Brause einzuwenden. »Was ist unsere Pflicht? Wir haben auch Pflichten hinsichtlich des Lebens der uns unterstellten Soldaten. Die Pflicht, dem König seine Armee zu erhalten.«
Auf diese Diskussion wollte Zeschau sich nicht einlassen, denn er wusste nicht und wollte auch nicht wissen, ob Nostitz tatsächlich beim Monarchen vorgesprochen hatte. Sie mussten hier einfach weitermachen,
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