1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
wollten: der Premierleutnant im Kampfgewühl, erneut den feindlichen Kugeln und Bajonetten ausgesetzt. In einem Nahkampf hatte er mit seiner Verletzung keine Chance! Hastig las sie weiter.
»Der Grenadier, der zusammen mit mir als Letzter Ihre Stadt verließ, ist unterwegs verblutet. Dabei war er so voller Heiratspläne für die Rückkehr in sein Heimatdorf. Doch abgesehen von ihm sind von den Männern, die Sie mit zarter und doch entschlossener Hand gepflegt haben, nur noch zwei gestorben: die Füsiliere Jonka und Heinrich, Gott sei ihren Seelen gnädig. Ohne Sie und Ihre Helfer wären wir anderen vermutlich auch tot.«
In ihrer Erinnerung suchte Jette vergeblich nach den Gesichtern der beiden. Es waren so schrecklich viele verletzte Männer gewesen, für die sie zu sorgen hatte, und in ihren Alpträumen vermischten sich all die schmerzverzerrten, blutigen Gesichter zu einem.
Doch den Premierleutnant Trepte sah sie ganz klar vor sich: seine dunklen Augen, die ihre nicht losließen, sein verbissener Stolz, jedes Wort, das er in seinen Fieberträumen geschrien hatte. Und vor allem jene, die er ihr am letzten Tag gesagt hatte.
Sie trat noch einen halben Schritt näher ans Fenster und hielt das Blatt mit beiden Händen fest, während sie weiterlas.
»Ich sollte Ihnen von schönen Dingen schreiben, elegant mit einer Feder, und vielleicht noch ein paar Zeichnungen oder gepresste Blüten hineinlegen. Das würde Ihnen sicher gefallen. Wie gern möchte ich Ihnen eine Freude bereiten! Doch habe ich nur dieses eine Blatt und einen Bleistift, eingetauscht gegen meine Tagesration Branntwein, und schreibe auf einer leeren Munitionskiste, wodurch nun auch noch Rußspuren auf die Rückseite des Blattes geraten sind – bitte verzeihen Sie mir! Und je weniger Zeilen zum Schreiben bleiben, umso mehr verlässt mich der Mut zu sagen, was ich Ihnen sagen möchte.
Fräulein Henriette, durch Sie bin ich noch am Leben. Dafür verdienen Sie meine Dankbarkeit und die meiner Familie.«
Wieder ließ sie das Blatt sinken und starrte aus dem Fenster.
Natürlich, seine Familie. Sicher hatte er eine nette junge Frau, eine Patriotin, die ihren Schmuck für die Ausrüstung der preußischen Armee geopfert hatte, und vielleicht ein paar süße kleine Kinder. Was hatte sie denn gedacht? Aber wenn diese Kinder immer noch einen Vater hatten – umso besser.
»Meine Eltern wissen inzwischen, dass ich lebe, und sind sehr erleichtert. Auch darüber, dass meine Brüder noch leben, nach denen Sie die Güte hatten, sich zu erkundigen. Sie sind beide wohlauf, obwohl sie ein hartes Rückzugsgefecht bei Gersdorf zu bestehen hatten, während ich verletzt in Freiberg lag.
Fräulein Henriette, ich würde gern mit einem kleinen Porträt oder einer Haarsträhne von Ihnen in den nächsten Kampf gehen. Da ich zu meiner Betrübnis keines habe, lebe ich ganz von dem Bild, das sich mir unauslöschlich eingeprägt hat: Wie Sie dort so tapfer auf dem Marktplatz standen und mir mit Ihren faszinierenden grünen Augen nachsahen. Ich werde es immer in meiner Erinnerung bewahren.
Wenn Sie rasch an die unten angegebene Ziviladresse in Bautzen antworten, besteht Hoffnung, dass mich Ihre Zeilen erreichen. Bis zur nächsten großen Schlacht wird es noch ein paar Tage dauern. Ich würde als glücklicher Mann in den Kampf ziehen, wenn ich wüsste, dass Sie an mich denken. Und ich erneuere mein Versprechen: Wenn dieser Krieg vorbei und das Vaterland befreit ist, führe ich Sie auf einen Ball. Bis dahin bitte ich Sie, mir gewogen zu bleiben.
In inniger Verbundenheit und ganz der Ihre,
Maximilian Trepte«
Jette hatte kaum zu Ende gelesen, als ihr schon die Tränen in die Augen schossen. Halb blind starrte sie auf das Blatt Papier, ohne noch einen Buchstaben erkennen zu können, wankte zur Récamiere und ließ sich daraufsinken.
In ihr tobten die Gefühle. Die Freude darüber, dass er an sie dachte, ihr sogar geschrieben hatte und sie wiedersehen wollte, wurde sofort ausgelöscht durch die Angst, dass er in ein paar Tagen wieder in eine blutige Schlacht zog. Und bei der letzten, in Großgörschen, hatten die Truppen gerüchteweise jeden vierten Mann verloren.
Er ist doch schon so schwer verwundet worden, er soll nicht auch noch sterben!, dachte sie verzweifelt.
Mit fahrigen Händen holte sie ihre kleine Schere aus dem Nähkorb, schnitt sich eine Strähne ab und knotete ein Stück von dem hellgrünen Band daran, das sie sich in die Haare hatte flechten wollen. Sie
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