1822 - Ich jagte die böse Äbtissin
akzeptierte sie. »Ja, aber ich habe meine Erinnerung nicht verloren. Haben Sie nicht davon gesprochen, dass Ramona tot ist?«
»Ja, das habe ich.«
Die junge Nonne schwieg. Sie fuhr mit der Hand über ihre Haube, eine Geste der Verlegenheit. Trauer schien sie nicht zu empfinden, sie blickte nur recht nachdenklich.
Ramona war eine Nonne, Pia ebenfalls. Aber beide waren völlig unterschiedlich. Nicht nur vom Alter her, ich glaubte auch, dass es noch andere Unterschiede zwischen ihnen gab, und die hätte ich gern herausgefunden.
Pia wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb übernahm ich das Wort. »Wie ist das zwischen euch? Wie hast du dich mit Ramona verstanden?«
»Sie war so etwas wie meine Lehrherrin.«
»Und was hat sie dir beigebracht?«
»Das Verhalten.«
»Wie …?«
»Ja, ja, das Verhalten innerhalb des Klosters. Wir sind eine Gemeinschaft. Da muss jeder auf den anderen Rücksicht nehmen. Das ist in dem Orden so üblich.«
Jetzt hatte sie mir ein Stichwort gegeben. »Hat dieser Orden auch einen Namen?«, fragte ich.
»Ja, das hat er. Wir nennen uns die Friedensschwestern. Wir lieben den Frieden, wir wollen ihn verbreiten. Wir sind diejenigen, die darauf hin arbeiten.«
»Und wie?«
»Das steht noch nicht fest. Wir sind erst am Anfang, aber unsere Äbtissin hat gute Ideen.«
Ich war auf der richtigen Spur, hatte ich zumindest das Gefühl. »Kommst du mit ihr zurecht?«
»Ja, bestimmt. Sie ist großartig. Sie weiß, wo es langgeht. Sie kann jedem den Weg zeigen.«
»Auch dir?«
»Ja.«
Ich fragte weiter: »Und wen verehrt sie? Weißt du das auch? Wer steht bei ihr an der ersten Stelle?«
»Das kann ich dir sagen. Es ist der wahre Herrscher.« Sie nickte. »Ja, so sagt sie immer. Der wahre Herrscher.«
»Interessant. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?«
»Nicht so recht.«
»Was denkst du denn?«
»Einer, der schon immer da gewesen ist.« Sie nickte und lächelte dabei. »Ja, einer der diesen Titel verdient hat. Ich finde es wunderbar, wirklich.«
»Und was macht sie noch?«
»Nun ja, sie hat Kontakt zu ihm.«
»Wo?«
»Im Kloster natürlich. In der Kapelle. Es ist ein Raum, der nur ihr gehört. Dort hinein geht sie. Dort hält sie sich auf, wenn sie beten will.«
»Aha. Und ihr?«
»Wir dürfen nicht hinein. Zumindest ich nicht. Ich bin noch nicht würdig genug.«
»Aha, und wer ist würdig?«
»Ihre Vertrauten. Diejenigen, die schon lange im Kloster sind. Das bin ich ja nicht.«
»Danke. Aber du willst bleiben?«
»Das habe ich vor.«
»Dann bringen wir dich jetzt hin.«
Nach meiner Antwort war sie etwas irritiert. Sie schüttelte den Kopf, sie schaute nach rechts, dann nach links und wich meinem Blick permanent aus.
»Was ist?«
»Das braucht ihr nicht. Ich kann auch zu Fuß gehen.«
»Nicht nötig. Außerdem müssen wir der Äbtissin Bescheid geben, was passiert ist.«
»Nun ja, sie wird nicht eben froh über Ramonas Tod sein. Die beiden waren öfter zusammen. Ich glaube auch, dass Ramona in die wahren Geheimnisse eingeweiht wurde.«
»Und du? Würdest du denn gern mehr wissen?«
»Ja, das würde ich. Ich würde gern wissen, was die Welt zusammenhält. Welche Kraft nötig ist.«
»Hast du schon mal an die Kraft Gottes gedacht?«
»Daran glaube ich doch.«
»Das ist wunderbar. Und was ist mit deiner Äbtissin? Denkst du, dass auch sie daran glaubt?«
»Natürlich.«
»Wie kommst du darauf?«
»Sie hat ihre eigene Kapelle, das sagte ich schon. Und dort betet sie, um mit Gott vereint zu sein.«
»Wenn du das meinst.«
»So sehe ich das.«
Ich legte der Nonne eine Hand auf die Schulter. »Dann steig bitte ein. Wir fahren jetzt los.«
»Aber bitte, ich kann auch allein gehen und …«
»Nein, nein, wir bringen dich hin.« Ich lachte. »Polizeischutz ist immer besser.«
»Nun ja, das kann sein, aber nötig ist es nicht.«
Ich traute ihr. Sie hatte mit Ramona und der Äbtissin nichts zu tun. Ich konnte mir vorstellen, dass längst nicht alle Nonnen unterwandert waren, dass sie es aber werden sollten. Das brauchte Zeit, da mussten sie erst vorbereitet werden.
»Bitte, Pia.«
Sie schaute mich noch mal an, lächelte und ging auf den Wagen zu.
Auch Suko war ausgestiegen. Er hatte unserer Unterhaltung gelauscht und hielt Pia jetzt die Tür auf.
Die Nonne bewegte sich ein wenig scheu, stieg aber ins Auto und setzte sich auf den Rücksitz.
Ich nahm neben Suko Platz, nickte ihm zu, und er startete den BMW. Dann stellte ich Suko auch namentlich vor und
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