183 - Die Stadt Gottes
kleine drahtige Frau stand ganz vorn etwas abseits der Menge und blickte seltsam bedrückt zu Boden.
Ein altes Paar, das fast täglich an Sabreenas Theke auftauchte, um sich zu betrinken, miteinander zu streiten und schließlich aufeinander einzuprügeln, lag sich inmitten der Menge in den Armen und schluchzte.
All das konnte Sabreena sich nicht erklären. Sie spürte aber, dass hier etwas Gefährliches im Gange war, ein fauler Zauber, mit dem sie lieber nichts zu tun haben wollte. Sie beschloss zu verschwinden.
Als sie sich umblickte, sah sie, wie Trashcan Kids Kämpfer das Stadion verließen. Unter ihnen waren auch die fremden Mantelträger, und als einer von ihnen stehen blieb und zurück sah, war es Sabreena, als hätte sie zumindest diesen einen Fremden doch schon einmal gesehen – war er nicht ein Engerling? Und nannte man ihn nicht General Garrett?
»Trashcan Kid ist hier«, flüsterte plötzlich Ozzies Stimme neben ihr. »Er hat sich vorübergehend mit den Engerlingen von Präsidentin Cross verbündet. Sie verschieben den Angriff auf die Rev’rends.«
»Warum, bei Orguudoo?«, zischte Sabreena. »Damit diese Schwätzer das dumme Volk noch weiter in ihren Bann schlagen? Ihr greift jetzt an und bringt die Sache hinter euch, oder Waashton wird zu einem Gefängnis!«
»Nun ja, es sind schon ziemlich viele, die dem Rev’rend ganz genau zuhören, findest du nicht, Sabreena?« Ozzie wandte sich ab und blickte über die Menge zu Rev’rend Rage. Der hatte aufgehört zu predigen. Leute stiegen zu ihm auf die Tribüne hinauf, um mit ihm persönlich zu sprechen. »Außerdem ist das doch gar nicht so verkehrt, was der Typ da von sich gibt.« Ozzie ließ Sabreena stehen und arbeitete sich durch die Menge nach vorn.
Dort nahm der Schläger, den Sabreenas Rausschmeißer vor ein paar Tagen aus dem Bordell geworfen hatten, den Blechtrichter vor den Mund und rief: »Ich bin ein Sünder, jawohl! Ich habe gestohlen und betrogen!« Der Mann ließ sich »Hitking« nennen, und Sabreena schätzte seine Fäuste und seine Muskelkraft.
Sonst hatte er nichts zu bieten. Und jetzt das! Sie traute ihren Ohren nicht!
»Der HERR möge mir verzeihen!«, rief Hitking in den Blechtrichter. »Neulich bin ich ins Haus der Lust gegangen und habe so viel getrunken, dass ich eine der Frauen dort geschlagen habe. Es war zwar nur eine Hure, aber dennoch – ich hätte es nicht tun dürfen…!« Seine Stimme brach, Tränen stürzten ihm wieder aus den Augen. »Ich hätte es nicht tun dürfen…! Ich bereue…!«
Er raufte sich die Haare. »Ja – ich bereue alle meine Sünden!« Er warf sich vor Rev’rend Rage auf die Knie.
Der schlug ein Kreuz über ihm, brummte ihm drei Tage Fasten auf und verlangte von ihm, ein bestimmtes Gebet an jedem der drei Tage hundert Mal zu beten. Der Schläger wankte weinend zu den anderen Rev’rends, um sich das Strafgebet beibringen zu lassen.
Sabreena hatte genug. Angewidert fuhr sie herum und stapfte fluchend zum Ausgang. Dort sah sie Trashcan Kid und Loola. Beide gestikulierten und palaverten heftig, und Trashcan Kid versuchte seine Freundin vergeblich durch das Tor des Stadions hinaus auf die Straße zu ziehen. Sabreena stutzte – was spielte sich da ab zwischen den Kids?
»Das ist sie, die verdammte Hurenmutter!«, schrie plötzlich jemand ganz in ihrer Nähe. »Haltet sie fest!«, rief es aus einer anderen Ecke, und auf einmal fühlte Sabreena sich von hundert feindseligen Blicken durchbohrt. »Die verdient sich eine goldene Nase an der Trunksucht und Geilheit unserer Männer!«, keifte eine Frau. »Und klaut wie eine Taratze!«, schrie eine andere.
Sabreena fühlte, wie Hände nach ihr griffen und Fäuste auf ihrem Rücken herumtrommelten. Irgendwer riss an ihren Haaren, und jemand schrie: »Bringt sie nach vorn! Schleppt sie zu Rev’rend Rage! Das Miststück soll Buße tun oder verrecken…!«
***
Im Hinblick auf seine Einwohnerzahl wäre es übertrieben gewesen, Waashton eine Stadt zu nennen.
Die ehemalige Ostküstenmetropole war nicht mehr als eine Ruinensiedlung, eine für postapokalyptische Verhältnisse relativ große Ruinensiedlung allerdings. Als Mr. Black nach Euree aufgebrochen war – zu der Zeit vor dem EMP also – lebten etwa fünfzehnhundert Menschen hinter den Stadtmauern; die Bewohner des Pentagonbunkers nicht mitgerechnet. Im Hinblick auf seine Fläche und die Anzahl seiner nicht einmal zu einem Drittel bewohnten Gebäude jedoch konnte Waashton durchaus als Stadt
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