1838 - Der Begleiter
Vordach stützten.
Als der Wagen das Ziel erreichte, zahlte Jack Warner und stieg aus. Er hatte nur ein paar Schritte bis zum Eingang zu gehen. Seine Knie zitterten schon. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Diesmal war er allein.
***
Im Tempel war es wie immer. Ein wenig kühl, aber nicht zu kühl. Man konnte sich wohl fühlen, wenn man in dem weichen Sessel saß oder auf einer der Couches Platz nahm. Es gab die Decke, die wie ein Himmel war, von dem die Götter nach unten schauten und sich mit ihren Lustknaben beschäftigten. Der Boden schimmerte dort, wo unter den Glasplatten kleine Lampen angebracht waren. Das Licht reichte völlig aus, und irgendwann vermischte es sich mit dem der Lampen, die auf den runden Tischen standen, die wiederum von den Sitzgelegenheiten flankiert waren. Manche waren mit Leder bezogen, andere wiederum mit weichem Stoff.
Der Club war noch nicht so gut besucht. Die Zahl der Gäste hielt sich in Grenzen, aber das würde sich gegen Mitternacht ändern. Da kamen die wahren Freaks, die noch ein paar schöne Stunden erleben wollten, wobei die meisten von ihnen in einer Beziehung mit einer Frau lebten, aus der sie nicht heraus konnten. Doch hier konnten sie sich ausleben. Da machte ihnen keiner Vorschriften.
Jack Warner und sein Freund hatten stets einen Stammplatz gehabt. Daran hielt Warner sich auch jetzt, er setzte sich auf die halbrunde Couch und hatte von hier aus einen guten Überblick.
Lautlos erschien ein Kellner.
»Hallo, heute allein?«
»Ja.«
»Kommt er nicht?«
Jack Warner blickte hoch in das leicht geschminkte Gesicht des Mannes. »Er kommt nicht mehr.«
»Hatten Sie Streit?«
»Nein. Aber das ist meine Sache. Geben Sie mir einen Drink, denn ich habe Durst.«
»Was denn?«
»Den leckeren Aperol Spritz.«
»Natürlich.« Etwas pikiert zog der Kellner ab, weil seine Neugierde nicht gestillt worden war.
Warner blieb sitzen. Er schaute nach vorn, er sah alles, aber die innere Leere, die ihn erfüllte, war auch außen zu erleben. Er konnte diesem Lokal nichts mehr abgewinnen.
Dann spürte er wieder den Druck in der Kehle, und er war froh, dass sein Getränk serviert wurde, so konnte er schlucken und vielleicht auch den Kloß im Hals wegbekommen.
Er rührte das Getränk mit dem weißen Strohhalm um. Dann trank er die ersten kleinen Schlucke. Eiskalt war der Spritz, und er tat ihm gut.
Jack blieb sitzen. Einfach nur dort hocken, wo er schon immer gesessen hatte. Er wollte und konnte nichts mehr sagen. Seine Kehle saß fast völlig zu, und wenn er atmete, dann hatte er Mühe, die Luft tief einzusaugen.
»Verdammt noch mal, warum hast du sterben müssen?«, flüsterte er vor sich hin. »Du bist noch so jung gewesen. Warum bist du gestorben?«
Er bekam keine Antwort, er stöhnte dabei leise auf, aber es war niemand da, der ihn hörte.
Oder doch?
Etwas störte ihn. Er hörte etwas in seinem Kopf, das wie eine Stimme klang. Es war nur ein Flüstern, aber doch recht deutlich, und Jack Warner saß starr auf seiner kleinen Couch.
»Du bist ja da, wo du immer mit meinem Sohn gewesen bist. Das war mir bekannt. Ich gehörte zu den wenigen Menschen, die dies begriffen haben.«
Ja, das war eine Stimme. Eine richtige Stimme, die im Kopf des Mannes echote. Und Jack Warner wusste auch, wem sie gehörte. Nicht seinem Freund Elmar, sondern dessen Vater, Sir Peter Dawson, der ebenfalls nicht mehr lebte. Der aber trotzdem unterwegs war, der möglicherweise etwas getan hatte, was grauenvoll gewesen war und seinen eigenen Sohn getötet hatte. Ob das so genau zutraf, wusste Jack Warner nicht, die beiden Polizisten waren nicht zu deutlich geworden.
Aber jetzt änderte sich alles. Da fühlte sich Jack Warner mitten in den Kreislauf hineingezogen, und er wünschte sich, dass er nicht mehr angesprochen wurde.
Das war nicht der Fall. Man wollte etwas von ihm. Man sprach ihn an. Man flüsterte, und er hatte den Eindruck, als würde der Sprecher direkt neben ihm stehen.
»Ich bin da …«
Warner zuckte zusammen. Er schaffte es nicht, eine Frage zu stellen. Nur seine Augen bewegten sich, ansonsten saß er starr auf seinem Sitz.
»Willst du nicht wissen, wer ich bin?«
»Nein, das will ich nicht.«
»Doch, du musst es wissen. Ich will es so. Du sollst und du musst es wissen …«
Der Sekretär gab keine Antwort. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie er aus dieser Lage herauskam. Alles war anders geworden. Die Gesetze hatten sich auf den Kopf gestellt. Er fasste es nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher