184 - Das Kreuz der blinden Göttin
innerhalb weniger Herzschläge noch viel mehr. Zum Beispiel holte sich das Kreuz die bleiche tote Frau, die nur deshalb noch stand, weil sie von Asmodis’ Schwert gehalten wurde.
Im Kreuz spielte sich eine unvorstellbare Revolution ab.
Alles kehrte sich ins Gegenteil um, aus Gut wurde Böse - das zarte Mädchenantlitz wurde zu einem harten Männergesicht! Zu einer grausamen Teufelsfratze!
Wie von einer großen Projektionsfläche starrte uns Asmodis plötzlich aus dem Kreuz entgegen. Er befand sich nicht mehr bei uns, hatte von Numas Kreuz Besitz ergriffen.
Glynis Elcar war in das Kreuz hineingerissen worden. Wir sahen sie nicht mehr.
Ich griff nach meinem Revolver und schob ihn in die Schulterhalfter. Mühsam stand ich auf. Gleichgewichtsstörungen machten mir stark zu schaffen.
Glynis hatte verdammt hart zugeschlagen. Ich litt nach wie vor an den Nachwirkungen. Übelkeit würgte mich. Ich preßte die Kiefer zusammen, wußte, was ich tun mußte.
Allmählich gab mich dieser unsichtbare zähe Brei frei.
Ich mußte das Satanskreuz zerstören, bevor es aktiv wurde und anfing, Leid, Not und Tod über die Menschen zu bringen! Ich mußte das Kreuz jetzt vernichten!
Ich hoffte, daß es mir mit dem Dämonendiskus gelingen würde. Als meine Hände nach der milchig-silbrigen Scheibe griffen, tat Asmodis seinen nächsten gemeinen Schachzug.
Er holte sich Vicky!
Meine Freundin kreischte auf, als sie von mir fortgerissen wurde. Sie flog auf das Kreuz zu und verschwand in diesem, wie vorhin Glynis Elcar.
»Vicky!« schrie ich entsetzt.
Die große Teufelsvisage auf dem Kreuz lachte lautlos, und dann hörte ich auf einmal Asmodis’ hohntriefende Stimme in mir: »Wolltest du nicht den Diskus werfen, Tony Ballard? Warum tust du es nicht? Warum versuchst du das Höllenkreuz nicht zu zerstören?«
»Gib Vicky frei, du verdammter Bastard!« brüllte ich haßerfüllt.
»Wenn du den Diskus schleuderst, tötest du deine Freundin!«
»Hast du es nötig, dich hinter einem Mädchen wie Vicky Bonney zu verstecken? Sollte der Herrscher der Hölle nicht mutiger sein?«
Das große Teufelsgesicht grinste vom Kreuz herunter. »Ich lasse mich von dir nicht provozieren, Tony Ballard. Hier geschieht ausschließlich, was ich will. Ich habe die blinde Guanchengöttin besiegt und das Kreuz von Las Canadas umgedreht. Nicht einmal Garuda konnte es verhindern. Von nun an wird das Höllenkreuz Krankheiten, Epidemien und Katastrophen auslösen. Das Böse wird von hier aus seinen Siegeszug über die Welt antreten. Die schwarze Macht wird über die Menschheit triumphieren, wird sie demütigen und knechten. Sie wird für uns eine Vormachtstellung schaffen. Wir werden aus der Erde eine zweite Hölle machen.«
Grauenvolle Aussichten waren das.
Aber durchaus realistisch!
Deshalb rieselten mir dicke Hagelkörner über den Rücken.
Ich hätte es vielleicht verhindern können, wenn ich den Dämonendiskus gegen das Kreuz eingesetzt hätte, aber dann hätte ich Vicky verloren, und dieser Preis war mir zu hoch.
Ich hätte Vicky opfern müssen, um die Welt zu retten, doch das konnte ich nicht, und niemand durfte das von mir verlangen. Verdammt, Asmodis hatte sich einen Trumpf geholt, den ich nicht überstechen konnte.
***
Glynis Elcar war eingetaucht in einen blutroten Nebel. Außerhalb des Kreuzes hätte sie ohne einen Tropfen Blut in den Adern nicht existieren können.
Hier drinnen war das jedoch möglich.
Sie wußte, daß Asmodis ihre Opferbereitschaft belohnen würde, und sie spürte, daß etwas sie in diesem Augenblick durchdrang.
Reglos, mit geschlossenen Augen lag sie auf dçrn Rücken und konzentrierte sich auf das, was mit ihr passierte. Vieles änderte sich für sie. Neues kam auf sie zu.
Ihr Leben wechselte in eine andere Bahn.
Sie würde von nun an den Tag hassen und die Nacht lieben. In der Schwärze der Dunkelheit würde sie sich wohlfühlen, grelles Sonnenlicht würde sie meiden.
Völlig neue Gesetze würden ihr Leben bestimmen.
Sie würde schon bald von hier fortgehen. Sobald die Umwandlung abgeschlossen war, würde sie das Kreuz gefahrlos verlassen können und ihrem tödlichen Trieb gehorchen.
Im Schutz der Dunkelheit konnte sie überall hingehen.
Die ganze Welt stand ihr offen. Sie brauchte nicht auf Teneriffa zu bleiben, mußte nicht nach England zurückkehren. Asmodis würde ihr sagen, wo sie »reiche Ernte« halten konnte.
Sie spürte in ihrem Kiefer einen harten Druck, und ihr war klar, was das zur Folge hatte.
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