1841 - Der Engeljäger
nicht abschätzen, wie lange Sinclair unterwegs sein würde. Eine Stunde oder weniger?
Er wusste es einfach nicht. Und wenn er sich jetzt in seinem Zimmer umschaute, dann kam ihm der Raum wie ein Knast vor. So klein mit einem ebenfalls kleinen Fenster. Er fühlte sich regelrecht eingeengt.
Warten …
Auf und ab gehen.
Nachdenken, ob er nicht lieber vor dem Haus wartete. Das gefiel ihm schon besser. Da war es auch nicht so stickig.
Er wollte seine Tasche umhängen und das Zimmer verlassen, als sich sein Handy meldete. Das sorgte bei ihm für ein Erschrecken, und sofort fragte er sich, wer da wohl etwas von ihm wollte.
Er fand die Lösung nicht, aber bei ihm siegte auch die Neugierde. Er wollte es erfahren und meldete sich.
»Ja, bitte …?«
Zuerst hörte er nichts, abgesehen von einem Rauschen und leichten Vibrieren.
»Ja, wer ist denn da?«
Das Rauschen verstummte nicht. Es wurde aber leiser. Und es wurde von einer Stimme abgelöst.
»Na, habe ich dich?«
Er schwieg. Aber sein Herz klopfte schneller. Wieder trat der Schweiß aus seinen Poren. Er bewegte seine Augen und blickte sich hektisch im Zimmer um, als hielt sich dort jemand verborgen, der ihm an den Kragen wollte.
Aber da war nichts. Nur die böse Stimme.
Julian fing sich wieder. Er konnte sogar eine Frage stellen und tat es mit einer Flüsterstimme.
»Wer bist du?«
»Willst du das wissen?«
»Sonst hätte ich nicht gefragt.«
»Gut, Julian, ich sage es dir. Ich bin dein Schicksal. Ja, dein Schicksal. Hast du gehört?«
»Habe ich.«
»Und da ich dein Schicksal bin, werde ich dich zu fassen bekommen, und das noch in dieser Nacht.«
Julian riss sich zusammen. Er wunderte sich darüber, dass er das noch konnte.
»Hast du auch einen Namen?«
»Willst du ihn hören?«
»Du brauchst ihn nicht zu sagen, wenn du nicht willst.«
»Doch, doch. Ich heiße Sariel.«
Julian wusste jetzt den Namen, und er sagte nichts. Er überlegte, ob er ihn schon mal gehört hatte, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Dann vernahm er wieder die Stimme und hörte zugleich das Lachen.
»Es gab schon einen Toten.«
Julian hätte eigentlich nicht nachzufragen brauchen. Er tat es trotzdem. »Wer ist es?«
»Dein Freund, der Bischof.«
Nein! Es hatte ein Schrei werden sollen, aber er war nur in Julians Innern aufgeklungen. Sein Gesicht verzog sich. Er schüttelte den Kopf. Er hatte plötzlich das Gefühl, als wollte ihm sein Magen in die Kehle steigen, und der Anrufer merkte wohl, was da ablief.
»Na, noch dran?«
»Ja, verdammt.«
Ein Lachen war zu hören. »Deine Stimme hat sich so anders angehört. Bist du geschockt?«
»Ja, das bin ich. Das bin ich wirklich, du elender Mörder. Dan Carver hat dir nichts getan. Warum hast du ihn umgebracht?«
»Das tat nicht ich, sondern Beißer, mein Hund. Davon abgesehen, dein Bischof stand auf der falschen Seite, ebenso wie es bei dir der Fall ist. Und jetzt werde ich dich holen. Diese Nacht ist ideal. Du kannst dich gar nicht vor mir verstecken. Ich finde dich überall. Es gibt keinen Ort der Welt, an dem du vor mir sicher bist.«
Das glaubte Julian ihm aufs Wort. Sein Blick flackerte plötzlich. Er hatte das Gefühl sein Zimmer absuchen zu müssen, aber da war nichts zu sehen.
Er war und blieb allein.
Aber er wusste auch, was dieser Sariel getan hatte. Den alten Bischof zu töten, das war schon grauenhaft. Darüber wollte er gar nicht mehr nachdenken. Aber der Gedanke ließ sich nicht vertreiben, er kehrte immer wieder zurück, und Julian hatte auch nicht vergessen, was ihm angedroht worden war.
Auch er sollte sterben. Und das noch in dieser Nacht. Das war nicht zu fassen.
Jemand über ein Handy zu erreichen ist kein Problem. Da wusste der Anrufer in der Regel nicht, wo sich der andere befand.
Galt das auch hier?
Julian wusste es nicht. Ihm war sowieso vieles fremd. Er hatte sich vor Tagen nicht vorstellen können, sich in einer derartigen Situation zu befinden, aber jetzt musste er sich damit abfinden.
Er war zwar nicht allein in der Jugendherberge, aber es war doch recht still geworden. Aus keinem der Zimmer drang Musik. Es waren auch keine Stimmen zu hören.
Das Zimmer war zwar bezahlt, aber wer sagte denn, dass er es auch nutzen musste. Er packte seine Sachen ein und wollte sich aus dem Staub machen. Unten war die Rezeption nicht mehr besetzt. Das war hier kein Luxushotel, sondern eine schlichte Herberge.
Er ging auf leisen Schritten, als er das Zimmer verlassen hatte. Das Gepäck hatte er
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