1841 - Der Engeljäger
war für ihn eine grausame Wahrheit, obwohl sie nicht bewiesen war.
Welche Möglichkeiten gab es noch?
Julian zerbrach sich darüber den Kopf. Er überlegte hin und her, aber zu einem Ergebnis gelangte er nicht.
Er sah die Tasche auf dem Tisch liegen. Der Bischof hatte ihm wichtige Dinge eingepackt. An erster Stelle stand eine Information. Es gab einen vertrauenswürdigen Mann, bei dem er sich melden sollte. Das war John Sinclair, und der lebte in London. Seine Anschrift hatte der Bischof ihm mitgegeben und natürlich auch die Telefonnummer.
Julian öffnete den Reißverschluss der Tasche und klappte die beiden Hälften auseinander. Mit der rechten Hand durchwühlte er den Inhalt. Er fand mehrere Geldscheine, auch eine Straßenkarte von London, und er hielt schließlich ein zusammengefaltetes DIN-A4-Blatt in der Hand, das er auseinanderfaltete. Da hatte der Bischof mit leicht zittriger Hand die Telefonnummer aufgeschrieben.
Einmal die von Scotland Yard und dann die private Nummer. Julian lächelte, als er las, dass dieser Mann beim Yard beschäftigt war. Irgendwie gab das ein gewisses Vertrauen.
Er schaute auf seine Uhr und dachte darüber nach, ob er John Sinclair anrufen sollte. Es war noch keine tiefe Nacht. Man konnte von einem späten Abend sprechen, und da würde der Mann wohl noch nicht schlafen. Und wenn, dann war es auch nicht schlimm.
Er wollte es versuchen.
Sein Herz klopfte schon schneller, als er die Nummer wählte. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, und er konnte jetzt nur eines tun. Sich selbst die Daumen drücken und darauf hoffen, dass sich dieser John Sinclair als ein Mensch erwies, mit dem man reden konnte, und der ihn auch nicht abwies …
***
Es war ein Hitzeschwall, der sich wieder über das Land gelegt hatte. Dabei hatte ich die Nase von der Hitze voll und freute mich auf den Herbst. Aber darauf deutete nichts hin. Er ließ noch auf sich warten, also schwitzte man weiter, und das auch in der Nacht, denn da wurde es kaum kühler. Das merkte ich, als ich am offenen Fenster in meiner Wohnung stand und in die Nacht schaute.
Der Himmel war dunkel geworden. Er zeigte eine schwarzgraue Farbe. Der Wind hier oben war warm und schien aus einem Backofen zu kommen.
Noch eine knappe Stunde bis zur Tageswende. Ich hatte noch keine Lust darauf, ins Bett zu gehen. Nicht bei diesem Wetter, denn ich wollte nicht liegen und schwitzen.
Außerdem musste ich noch eine Flasche Bier leeren, die ich aus dem Kühlschrank geholt hatte.
Ich ließ den Tag noch mal vor meinem geistigen Auge Revue passieren und dachte vor allen Dingen daran, dass der Bischof angerufen hatte. Er war bei meinem Rückruf nicht zu erreichen gewesen, und ich hatte es wirklich einige Male versucht. Das hatte bei mir für eine gewisse Unruhe gesorgt. Ich würde, wenn ich im Bett lag, auch keine Ruhe finden.
Also blieb ich auf.
Das Fenster ließ ich offen, blieb weiterhin davor stehen und trank das kühle Bier. Der leichte Druck im Magen wollte nicht weichen. Er war so etwas wie eine Warnung davor, dass noch etwas kommen konnte.
Ich lehnte meinen Kopf aus dem Fenster, um den Wind zu spüren, der aber noch immer keine Kühlung brachte. Das würde auch noch zwei Tage bleiben, wenn man den Wetterleuten trauen konnte.
Und dann passierte doch etwas.
Mein Telefon meldete sich.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Auch ein Geisterjäger kann sich erschrecken, das erlebte ich in diesen Augenblicken, denn ich schrak bei dem Geräusch zusammen.
Wer wollte etwas von mir um diese Zeit?
Die Frage stellte sich automatisch, und ich würde erst eine Antwort finden, wenn ich abhob und mich meldete.
Das tat ich auch.
Zuerst hörte ich nicht viel. Nur ein heftiges Atmen. Da schien jemand Angst zu haben oder wusste nicht, was er sagen sollte.
»Hallo …?«
Das Atmen hörte auf. Dafür vernahm ich eine leise Stimme, die neutral klang.
»Mister Sinclair? John Sinclair?«
»Wer will das wissen?«
»Ich.«
Jetzt musste ich lachen. Wer so antwortete, der hatte nichts Schlimmes vor.
»Haben Sie auch einen Namen?«
»Ja, ich bin Julian.«
Gut, ich hatte den Namen gehört. Musste ich ihn kennen? Hatte er sich vielleicht verwählt? Das konnte sein, aber so recht wollte ich daran nicht glauben.
»Und weiter, Julian.«
»Ich komme vom Bischof und bin auf dem Weg zu Ihnen.«
Zack! Das hatte gesessen. Ja, jetzt riss der Vorhang auf. Mein Gedächtnis war frei, und ich dachte daran, dass dieser alte Bischof tatsächlich von seinem Schützling
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