1841 - Der Engeljäger
wissen.«
»Nein, ich …«
»Ich will ihn haben.«
»Wer will wen haben?«
»Ich, Sariel, will Julian haben.«
»Und warum suchst du bei mir?«
»Muss ich dir das sagen?«
»Ja, denn er ist nicht hier.«
Endlich war es heraus, und jetzt war der alte Bischof gespannt darauf, wie dieser Sariel reagierte. Überhaupt: Sariel. Was war das für ein Name? Kein normaler, sondern einer, der woanders hinpasste. In eine andere Welt. In ein anderes Reich. Vielleicht in die Welt der Engel, aus der er sich entfernt hatte.
»Bleib liegen!«
Carver lachte. »Wo sollte ich auch hin?«
»Schon gut.« Sariel stieg über ihn hinweg und verschwand. Sein Tier aber nahm er nicht mit. Es blieb bei dem alten Bischof und gab auf ihn acht. Die Schnauze befand sich fast in seiner Kopfhöhe, und so traf der heiße Atem das Kinn des Liegenden.
An Entspannung war nicht zu denken. Daniel Carver lag auf dem Boden, fühlte sich so starr wie ein Brett, aber in seinem Innern tat sich etwas. Da schlug das Herz schwer und schnell, es brauste das Blut in seinem Kopf, und er dachte plötzlich daran, dass er mit diesem Sariel gesprochen hatte, aber nicht wusste, wie er aussah. Den Blickwinkel hatte er leider nicht gehabt.
Wenn Julian ein Engel war, als was musste man dann diesen Sariel ansehen? Auch als einen Engel?
Carver konnte es sich kaum vorstellen. Für ihn waren Engel stets reine Wesen. Er kannte die kirchliche Engellehre, die in einigen Sätzen schon sehr konkret war.
Gott hatte außer der sichtbaren Welt ein Reich mit unsichtbaren Geistern geschaffen, nämlich die Engel, und das noch vor der Erschaffung des Menschen. Und diese Engel waren nicht nur Geister, sondern auch personale Geschöpfe, was erst im Jahre 1950 vom damaligen Papst als kirchliche Lehre bekräftigt wurde.
Das war natürlich alles sehr allgemein, doch wer sich im Detail mit den Engeln beschäftigte, der erlebte auch Überraschungen. Dass Menschen und Engel doch einiges gemeinsam hatten.
Schreie der Wut erreichten seine Ohren. Sariel hatte sie von sich gegeben. Er tobte durch das Haus, er suchte nach Julian, aber er fand ihn nicht.
Trotz seiner Lage musste Daniel Carver lächeln. Den Jungen bekam er nicht.
Nach wie vor lauerte das Vieh neben ihm. Der heiße Atem streifte sein Kinn, manchmal hörte er auch ein Knurren und Hecheln.
Er hörte die Schritte des Suchenden weiterhin im Haus. Jetzt ging dieser Sariel durch die kleinen Räume in der oberen Etage, aber dort würde er auch nichts finden.
Flüche waren zu hören, und als sie näher kamen, da wusste Carter Bescheid. Sariel hatte nichts gefunden, deshalb würde seine Laune entsprechend sein, die er hoffentlich nicht an mir auslässt, dachte der alte Bischof.
Sariel kehrte zurück. Er ging mit harten Schritten, sodass der Boden leicht vibrierte. Wie ein Scharfrichter schaute er auf Dan Carver nieder, und der alte Bischof sah zum ersten Mal diesen Sariel in voller Größe.
Er trug einen dunklen Mantel. Das Gesicht war blass, das Haar ebenfalls dunkel, aber es bedeckte nur die Kopfseiten.
»Wo ist er?«
»Wen meinst du?«
»Ich will wissen, wo er ist!«
»Keine Ahnung.«
Sariel nickte. »Ich spreche von dem Jungen. Von Julian. Begreifst du mich jetzt besser?«
Dan Carver sah ein, dass es keinen Sinn hatte, wenn er log. Er wollte den anderen nicht noch stärker provozieren. Deshalb gab er auch eine stimmige Antwort.
»Er ist nicht mehr da. Ich habe ihn weggeschickt.«
»Und wohin?«
»Weg«, flüsterte der alte Bischof, »einfach nur weg.«
Sariel senkte seinen Körper. »Nein«, flüsterte er scharf, »das glaube ich nicht. Das kannst du mir nicht erzählen. Das ist ganz anders.«
»Wie denn?«
»Du weißt Bescheid.« Er grinste jetzt und zeigte sein Gebiss. »Du hast vorgesorgt.«
»Ja, das habe ich. Denn ich sagte ihm, dass er fliehen sollte, und das hat er getan.«
»Ich glaube dir sogar.«
»Wie schön.«
»Aber was hast du noch getan?«
»Ich gab ihm ein Fluchtfahrzeug.«
»Was ist das für ein Auto?«
»Ein kleiner Fiat.«
Einen Herzschlag später kassierte der alte Bischof einen Tritt, der ihn aufschreien ließ. Gewaltanwendung war er nicht gewohnt. Der Schmerz raste durch seine linke Seite und schien sich sogar in seinem Kopf festzusetzen. Tränen traten in seine Augen. Er schämte sich dafür, aber er konnte sie auch nicht zurückhalten.
Nur langsam klang der Schmerz ab, und er vernahm wieder die Stimme des anderen.
»Er ist mit keinem Auto weggefahren. Willst du mich
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