1844 - Bei Ebbe kam der Tod
keine Rolle, wo er wanderte. Das konnte der Norden sein, List und der Ellbogen, oder auch der Süden mit der Ortschaft Hörnum.
An diesem Tag hatte sich Heinz Becker für eine Ortschaft entschieden, die südlich von Westerland lag. Sie hieß Rantum. Dort stellte er seinen Wagen ab, holte die Mütze hervor und setzte sie auf, um gegen den Wind geschützt zu sein.
Er hatte sich dafür entschieden, an der Seeseite entlang zu gehen. Und er würde wahrscheinlich bis zu der berühmtesten Hütte Deutschland laufen, der Sansibar , wo es ein tolles Essen in allen Preiskategorien gab und man auch den einen oder anderen edlen Tropfen zu sich nehmen konnte.
Den Rückweg wollte er nicht mehr gehen, sondern mit dem Bus fahren.
Gedankenschwanger lief er durch die Dünen auf den Strand zu. Der Weg war nicht flach, er stieg etwas an, und er war genauso uneben wie seine Überlegungen.
Die drehten sich um seinen Cousin Hajo. Es war ja nicht zu fassen, dass er dessen Stimme gehört hatte und dass er später als Leiche an den Strand angeschwemmt worden war.
Das alles war für ihn zu einem gedanklichen Wirrwarr geworden, dessen Knoten er nicht lösen konnte. Er wusste nicht, warum so etwas geschehen war, aber er konnte sich schon vorstellen, dass auch er darin eine Rolle spielte.
Welche das genau war, das wusste er nicht. Sich das vorzustellen reichte auch seine Fantasie nicht. Jedenfalls ging er davon aus, dass er hier noch ein paar Überraschungen erleben würde.
Nur noch wenige Schritte durch das dichte und harte Dünengras, dann hatte er sein erstes Ziel erreicht. Es war die Höhe, von der er in die Weite schauen konnte.
Das tat ihm gut. Auf diese Sicht hatte sich Heinz Becker gefreut. Unter ihm lag der breite Sandstrand. Dahinter begann das Meer. Eine gewaltige wogende Fläche mit all ihren Grautönen und schaumigen Wellenkämmen, die sich auf den Strand zu bewegten und dort im Sand verliefen.
Ungefähr eine Minute lang genoss Heinz Becker dieses Bild. Dabei atmete er tief ein und tief aus. Er sog die frische Luft, die einen so würzigen Geschmack in sich barg, tief in die Lungen.
Auch das herbstliche Bild gefiel ihm. Da stieg die Sonne nicht mehr so hoch. Sie schickte ihre Strahlen flacher über das Wasser und auch über das Land. Ab und zu tauchte sie aus den Wolkenlücken auf, um Wasser und Land zu verwöhnen.
Heinz Becker war nicht der einzige Wanderer, der am Strand entlang ging.
Die Idee hatten auch mehrere Menschen gehabt. Egal in welche Richtung sie gingen, sie liebten die Gegend und auch das Wetter. Es machte ihnen Spaß. Und das Vergnügen würde auch Heinz Becker bald erleben. Er wusste genau, wenn er in die Sansibar kam, dann würde er Hunger und auch Durst haben.
Er wollte gehen.
Doch er ging nicht, denn er hatte in seiner Nähe etwas gehört, das er als fremd einstufte. Es war ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Jedenfalls glaubte er nicht daran, dass es vom Wind stammte und auch nicht vom Wasser.
Er drehte sich um.
Vor ihm stand ein Mann. Er hatte es geschafft, sich an ihn heranzuschleichen. Erst auf den letzten Metern hatte Heinz ihn gehört.
Sein Anblick versetzte ihm einen schweren Schock. Er kannte die Person. Er kannte sie sogar gut.
Vor ihm stand sein Cousin Hajo!
***
Ich hatte den Ort Westerland erreicht, den ich von meinen früheren Besuchen ebenfalls kannte. Die turmhohen Bausünden standen noch immer. Es waren die Häuser mit ihren zahlreichen Wohnungen der unterschiedlichsten Größen. Je höher man sich einmietete, umso besser war der Blick auf Stadt und Meer.
Ich hatte einen Parkplatz nahe der Post gefunden und konnte die restlichen Meter zu Fuß gehen. Die Polizeistation befand sich in der Nähe. Sie war auch nicht zu übersehen, denn vor dem Haus stand ein Streifenwagen.
Sylt war zwar um diese Zeit nicht überfüllt, aber hier in Westerland waren schon zahlreiche Menschen unterwegs. Kein Vergleich zu Keitum oder auch Kampen.
Ich hatte mich bei Kommissar Kums nicht angemeldet und hoffte, dass er Zeit für mich hatte. Und ich war gespannt, wie er es aufnahm, wenn ich von einer lebenden Leiche sprach, nach der ich Ausschau halten wollte. Es wäre sogar recht normal gewesen, wenn er mich ausgelacht oder den Kopf geschüttelt hätte.
Ich konnte die Dienststelle betreten und wurde von einer uniformierten Kollegin aufgehalten, die mich sehr freundlich begrüßte und dann fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
Ich lächelte zurück und sagte: »Ich möchte gern mit Kommissar
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