1846 - Kreise
Naats war ein einmaliger Zwischenfall geblieben. Andererseits wurden immer neue Spionsonden und unbemannte Robotschiffe in das Gebiet der Invasoren geschickt. Ihre Ausfallquote war hoch, da die Igelschiffe auf alles feuerten, was in ihrer Nähe erschien, doch inzwischen beteiligten sich die Haluter an den Erkundungen. Sie konnten sich als einzige ungehindert im Tanglefeld bewegen.
Die bisher vorliegenden Feststellungen waren von Halutern bestätigt worden. Ihnen verdankten wir Details die dazu beitrugen, weitere Puzzleteile in das Bild einzufügen, das wir von unseren Gegnern hatten.
Die Tolkander wühlten sich im Akkordtempo in den Boden der besetzten Welten. Sie betrieben gigantische Fabrikanlagen und schürften nach Erzen oder anderen Rohstoffen, und sie würden Schutthalden zurücklassen, Welten, die nichts anderes mehr waren als wertlose, taube Geröllwüsten.
Eine Frage brannte mir auf den Nägeln. Und nicht nur mir. Jeder, der sich den Ablauf der Invasion vergegenwärtigte, mußte sich zwangsläufig diese Frage stellen.
Hatten die sechsundzwanzig Planeten mit der Erzeugung der Nachkommenschaft der Tolkander zu tun?
Fanden auf ihnen die uns bislang unbekannten biologischen Vorgänge statt, die eine Entstehung von Vivoc ermöglichten?
Oft hatten wir die Möglichkeiten durchdiskutiert, leider ohne brauchbares Ergebnis. Vivoc, das waren zunächst fünfzig Zentimeter große Kokons, die sich auf den Brutwelten auflösten und gallertartige, an Egel erinnernde Larven von einem Meter Länge freigaben. Unter dem Einfluß der Resonanzkörper-Ausstrahlung der intelligenten Bewohner der Brutplaneten, gewissermaßen die psychische Nahrung der Brut, erfolgte die Verpuppung.
Letzten Endes schlüpften aus der Vivoc die verschiedenen Arten der Invasoren, die wir unter dem Sammelbegriff Tolkander zusammengefaßt hatten. Ende Februar war es gelungen, zwei Dutzend Larven auf die GILGAMESCH zu bringen, aber nur fünf davon hatten überlebt. Der Xenomedizinerin Arfe Loidan verdankten wir die weitergehenden Erkenntnisse. Sie hatte herausgefunden, daß die Embryonen in den Vivoc-Larven zunächst neutral reagierten und sich im Prinzip zu jeder beliebigen Tolkander-Lebensform entwickeln konnten, sofern entsprechende DNSBotenstoffe wirksam wurden. Unwissenschaftlich, aber dafür verständlich ausgedrückt handelte es sich um multiple Eizellengebilde, die in sich verschiedenste Arten von Proteinen und vielfältige Muttergene trugen und ihrer Befruchtung harrten. Diese Befruchtung erfolgte eindeutig durch die auf die Eizellen einwirkende Resonanzkörper-Konstante, die je nach Art und Intensität unterschiedliche Gene aktivierte. Deshalb war für die Tolkander die „Qualität des Bundes", der auf den Brutwelten lebenden Intelligenzen, von entscheidender Bedeutung. Das zahlenmäßige Verhältnis der ausschlüpfenden Arten zueinander war demnach direkt abhängig vom „Bund".
Arfe Loidan hatte Gene und Proteine isoliert, die für die Ausbildung ganz bestimmter Körpermerkmale verantwortlich waren, etwa für das Schlangenhafte der Neezer oder das Trompetenorgan der Eloundar.
Geblieben waren trotzdem zahlreiche Fragen. Woher stammte die Vivoc, die auf den Eloundar-Ellipsoiden transportiert wurde? Wir hatten Tolkander obduziert, aber keine Gebärorgane gefunden.
Alazar, Gazkar, Neezer und Eloundar waren Neutra und nicht einmal in der Lage, sich eingeschlechtlich fortzupflanzen. Was den Verdacht begründete, bei den Tolkandern könnte es sich um Klone handeln. Unter den Biologen auf Camelot war es deshalb bereits zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, die letztlich eine deutliche Kluft quer durch alle Fraktionen hinterlassen hatten. Eine geringe Mehrheit vertrat die Meinung, daß irgendwo gewaltige Genfabriken existierten, in denen die Vivoc sozusagen am Fließband erzeugt wurde.
Das war gewiß kein angenehmer Gedanke. Schon jetzt stand uns die gigantische Zahl von zweihunderttausend Igelschiffen gegenüber. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn noch gewaltigere Heere die Milchstraße überrannten, womöglich von innen heraus, von sechsundzwanzig neuen Genfabriken ausgehend. Dann mußten Kummerogs Visionen entsetzliche Wirklichkeit werden.
Auf gewisse Weise fiel mir eine beträchtliche Last von der Seele, als ich erfuhr, daß bislang weder Spionsonden noch die Haluter Hinweise darauf gefunden hatten, daß die Tolkander möglicherweise in eine Art Gebärphase eingetreten waren, die ihren Rückzug in den Kugelsternhaufen
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