1847 - Im Bann des Philosophen
ausweichen.
Er blickte sie ernst an. Seine Augen waren eingefallen, und seine Lippen waren unnatürlich blaß.
„Was ist passiert?" fragte sie erschrocken. „Du siehst aus, als wärst du dem Leibhaftigen begegnet."
„So komme ich mir vor", versetzte er.
Die Terranerin legte ihre Hand an seinen Arm und schob ihn weiter bis zu einem Getränkeautomaten.
Ihre Kehle war plötzlich wie ausgedorrt, und sie hatte das Gefühl, verdursten zu müssen, wenn sie nicht augenblicklich etwas trank.
„Erzähl schon!"
„Ich habe meine Angehörigen gesucht", berichtete er, nachdem er schweigend zugesehen hatte, wie sie sich einen Becher mit Wasser füllte und trank.
„Und?"
Es fiel ihm schwer zu sprechen. Seine Stimme klang eng, und sie war heiser.
„Der Syntron hat sie gefunden. Sie sind tot."
Erschüttert blickte sie ihn an, ertrug es dann jedoch nicht, ihn leiden zu sehen, und wandte sich ab.
„Als letzte von ihnen ist meine Schwester gestorben. Sie hat an einer Brücke herumgekritzelt", versetzte er. „Und dabei hat sie immer wieder nach freien Stellen gesucht, die sie bemalen konnte. Irgendwann hat sie sich zu weit vorgebeugt, weil die leeren Stellen nur noch unten an der Brüstung zu finden waren, und ist in die Tiefe gestürzt. Jede Hilfe kam zu spät."
„Es tut mir leid."
Er explodierte förmlich und gab dem Getränkeautomaten einen so gewaltigen Tritt, daß seine Verkleidung platzte und sich eine Kaskade von Bechern auf den Boden ergoß.
„Ich muß das Ungeheuer finden, das dafür verantwortlich ist", sagte er. „Es sieht so harmlos aus, wenn die Menschen kritzeln. Es ist geradezu kindisch, doch es kann schreckliche Konsequenzen haben."
Forschend blickte er sie an. „Du willst herausfinden, wo deine Kinder sind!"
„Allerdings!"
„Ich wünsche dir, daß deine Suche besser ausgeht als meine. Ich gehe wieder an Bord. Ich hoffe, du hast die Genehmigung der Kommandantenstellvertreterin Salara Sinhar, die SAIRA zu verlassen."
„Selbstverständlich!"
Er gab ihr keine Gelegenheit zu danken, sondern stieg in den Antigravschacht und sank nach unten, wobei er ihr den Rücken zudrehte.
Angst kroch in Anata hoch. Was war, wenn ihren Kindern ebenfalls etwas geschehen war?
Sie schüttelte den Gedanken ab. Es durfte nicht sein!
Sie durchquerte die Empfangshalle des Raumhafens, die lediglich mit einer jungen Frau besetzt war. Sie saß an einem der Schalter und kritzelte gedankenverloren Kreise in einen syntronischen Notizblock.
Die Syntronik fragte, ob sie eine Korrektur der Kreise und ihre Vervollkommnung wünschte, doch sie antwortete nicht. Sie hörte es nicht, weil sie viel zu sehr mit den Kritzeleien beschäftigt war.
Anata setzte sich an einen der vielen freien Syntrons und nannte die Namen ihrer Kinder.
„Basai und Kamaya Katcoraexe! Wo sind sie?"
Der Syntron brauchte nur Sekunden, bis er die Antwort gefunden hatte.
„Sie sind beide auf Merkur, wo sie im Hauptgezeitenwandler für das ATG-Feld arbeiten."
„Ich will eine Verbindung. Ich muß mit ihnen reden."
Wiederum vergingen nur Sekunden, bis die Syntronik Auskunft gab.
„Tut mir leid, Anata, aber deine Kinder melden sich nicht. Merkur schweigt - ebenso wie die anderen Planeten."
„Danke."
Sie zögerte lange, bis sie nach dem Vater der Kinder fragte. Sie erinnerte sich an die Auseinandersetzungen, die sie mit ihm gehabt hatte. Mittlerweile konnte sie kaum verstehen, daß sie sich so häufig über Nichtigkeiten gestritten hatten. Eigentlich wollte sie keinen Kontakt mit ihm, doch sie hoffte, daß er ihr etwas über die Kinder sagen konnte.
Der Syntron gab schnell Auskunft. Er teilte ihr mit, daß der Gesuchte die Erde schon vor mehr als acht Jahren mit unbekanntem Ziel verlassen hatte.
Die Nachricht löste keine Gefühle bei ihr aus. Der Vater ihrer Kinder war ihr vollkommen gleichgültig geworden.
Anata wußte, daß sie nicht mehr ausrichten konnte. Sie kehrte an Bord der SAIRA zurück.
Bereits an der Schleuse wurde sie von Menontro empfangen.
„Sie sind noch nicht da", eröffnete er ihr.
Die Terranerin wußte, daß er Atlan, Homer G. Adams und die Vandemar-Zwillinge meinte.
Die ATG-Technikerin blickte auf ihr Chronometer. Sie atmete auf. Sie war gerade noch rechtzeitig innerhalb der Frist an Bord zurückgekehrt, die Salara Sinharihr eingeräumt hatte. Viel später hätte sie nicht kommen dürfen.
„Wo sind deine Kinder?" fragte der Plophoser.
Sie atmete tief durch und blickte sich um. Der Raumhafen wirkte verlassen.
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