1850 - Vollmond-Grauen
finden und …
Harry Stahl rief nicht gern bei der Firma an, aber es ging nicht anders. Seinen Chef hatte er schnell an der Strippe. Für sich nahm er zwei Tage Urlaub. Und er bat seinen Chef, Dagmar Hansen zu entschuldigen, weil es ihr nicht gut ging.
In der Firma war man immer misstrauisch. So auch jetzt. Er wurde gefragt, ob das so etwas wie eine Mini-Verschwörung wäre, aber dagegen stemmte er sich entschieden.
»Oder läuft da wieder etwas, das Sie allein durchziehen wollen? Oder mit Ihrem Freund aus London?«
»Nein, das nicht.« Aber an John Sinclair hatte er tatsächlich schon gedacht. »Ich möchte mich nur um meine Partnerin kümmern, der es nicht gut geht.«
»Dann wünschen Sie ihr gute Besserung.«
»Danke, das werde ich.« Harry atmete auf und war froh, dass es alles so problemlos gelaufen war. Es hätte auch anders kommen können, aber daran wollte er nicht denken.
Er hätte jetzt eigentlich etwas essen sollen, aber das schaffte er nicht. Nur einen Kaffee kochte er sich nach dem Duschen und nachdem er sich angezogen hatte.
Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben. Er dachte daran, dass Dagmar plötzlich auftauchte und ihm erklärte, dass sie nur mal eben kurz weg gewesen war.
Sie kehrte nicht zurück. Auch dann nicht, als mehr als drei Stunden vergangen waren und die Mittagszeit angebrochen war. Da saß Harry Stahl noch immer in der Wohnung.
Bis er einsah, dass es nichts brachte, wenn er weiterhin hier in der Wohnung hockte. Er wollte sich auf den Weg machen und nach Zeugen suchen, die seine Partnerin eventuell gesehen hatten.
Er dachte an die Hausbewohner. Es konnte sein, dass jemand Dagmar gesehen hatte. Mit den Mietern im Haus kamen sie gut zurecht. Es gab keine Probleme zwischen ihnen. Und er wusste von einem älteren Ehepaar, dass es öfter Schlafstörungen hatte.
Über seine Fragen würden sich die beiden wundern, aber sie wussten auch, dass er Polizist war. Das hatte er ihnen gesagt. Dass er für das BKA arbeitete, wussten sie nicht.
Er musste eine Etage höher. Nach seinem Klingeln öffnete ihm der Mann. Er schaute erfreut, dass Besuch gekommen war, musste aber dann passen, als er sich Harrys Fragen angehört hatte.
Nein, er hatte in der Nacht dank der Tabletten sogar gut geschlafen. Das Gleiche galt für seine Frau. Aber Harry bekam noch den Rat, die Mieterin ganz unten zu befragen. Auch sie sollte in der Nacht oft wach liegen.
»Danke, das werde ich tun. Schönen Tag noch.«
»Ihnen auch.«
Harry ging nach unten, um bei Frau Fischer zu klingeln.
Er kannte sie vom Ansehen und hatte auch mal das eine oder andere Wort mit ihr gewechselt. Er legte den Daumen auf den Klingelknopf.
Frau Fischer öffnete schnell. Sie schien hinter der Tür gelauert zu haben und bekam große Augen, als sie Harry erkannte.
»Sie?«
»Ja, Frau Fischer.« Er lächelte sie an.
»Bitte, Herr Stahl. Kommen Sie doch rein. Ich habe soeben eine Flasche Weißen geöffnet. Ein Glas trinken Sie doch mit.«
Er wollte zwar nicht, aber er stimmte trotzdem zu und ließ sich von Frau Fischer in die Küche führen, die recht groß war. Da gab es auch einen Tisch, auf dem die Flasche und das Glas standen und ein Kreuzworträtselheft daneben lag.
Ein zweites Glas war schnell herbeigeschafft, der Stuhl stand schon da, und Harry setzte sich. Er ließ es zu, dass Frau Fischer ihm einschenkte.
Wenig später stießen sie an, tranken, und dann hielt es die Witwe Fischer nicht mehr aus. Sie wollte unbedingt erfahren, weshalb sie gerade von Harry Besuch bekam.
»Sonst habe ich mehr mit Ihrer Frau gesprochen.«
»Das weiß ich. Sie hat immer von einem guten Verhältnis gesprochen.«
Sie tranken noch mal, dann kam Harry endlich zum Grund seines Besuchs. Er sprach davon, dass er seine Frau heute noch nicht gesehen hatte und dass er sich Sorgen machte.
»Kann ich verstehen.«
»Wie das?«
»Hätte ich mir an Ihrer Stelle auch gemacht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie – ähm – suchen Ihre Frau?«
»Ja. Sie ist verschwunden, und jetzt bin ich dabei, den einen oder anderen Zeugen aufzutreiben.«
»Und deshalb sitzen Sie jetzt hier?«
»In der Tat.«
Frau Fischer umfasste ihr Weinglas, und ihr Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. In den Augen funkelte es, dann nickte sie und gab die Antwort.
»Ich glaube, dass Sie den richtigen Riecher gehabt haben.«
»Ach? Sagen Sie nur?«
»Ja, das ist so.« Sie räusperte sich und sagte: »Ich bin ja schon eine alte Frau, und wenn ich mal in einer Nacht
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