1850 - Vollmond-Grauen
wollte ich nur noch Suko Bescheid geben, dass er am nächsten Morgen allein ins Büro fahren musste, und dann war ich gespannt, was die nächsten Tage bringen würden …
***
Wenn ich Harry Stahl besuchte, dann gab es nur einen Flughafen, auf dem ich landen musste. Es war der Airport Frankfurt, ein Moloch, aber wer sich auskannte, der kam gut zurecht.
Und so war ich auch nicht erstaunt, dass Harry Stahl schon bereitstand, um mich in Empfang zu nehmen. Das lief alles wunderbar glatt ab.
Wir umarmten uns, und als ich meinen Freund Harry anschaute, da sah ich schon den sorgenvollen Ausdruck in seinen Augen, was ganz natürlich war.
»Und jetzt?«, fragte ich.
»Gehen wir etwas frühstücken.«
»Gute Idee. Im Flieger gab es nämlich nichts Besonderes. Irgend so ein Knabberzeug.«
»Dann freue dich mal auf deutsche Brötchen.«
»Nicht auf eure Currywurst?«
Harry blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Um Himmels willen, nicht am frühen Morgen. Aber wenn du willst …«
»War nur ein Scherz.«
»Okay.«
Drei Minuten später saßen wir in einer Backfiliale, wo man sich auch ein Frühstück bestellen konnte. Das taten wir, und ich hatte inzwischen auch Hunger bekommen. Zwei Brötchen reichten mir aus. Dazu Käse und Wurst, auch Marmelade, hier wurde ich zu einem deutschen Frühstückler. Die Körner ließ ich weg.
Harry aß nur ein Brötchen, trank aber Kaffee wie ich, und jetzt kamen wir auch zum Thema.
Harry schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nichts erreichen können«, sagte er, »so leid es mir tut, aber es war nicht möglich.«
»Gut. Hast du denn vielleicht eine Idee, wo wir eventuell ansetzen könnten?«
Er blies die Luft aus und runzelte die Stirn.
»Ich denke, wir sollten dort anfangen, wo es begonnen hat.«
»Das heißt?«
»Bei Ellen Peters.«
Ich nickte. »Das war Dagmars Freundin, nicht?«
»Ja, das war sie.«
»Und was hast du genau vor?«
Er schluckte etwas Kaffee und nickte. »Ich möchte mich in der Wohnung der Toten umschauen. Kann sein, dass wir dort einen Hinweis finden.«
»Ist die Wohnung denn nicht durchsucht worden? Von den Kollegen, meine ich?«
»Ja, das ist sie. Aber man hat nichts gefunden, das die Auflösung des Mordfalls vorantreibt. Vielleicht haben wir mehr Glück. Ich habe herausgefunden, dass Ellen Peters die Miete immer für drei Monate bezahlte, so ist die Miete schon im Voraus beglichen worden, und man wird die Wohnung erst mal in Ruhe lassen.«
»Hört sich gut an.«
Harry nickte. »Ich habe auch einen Schlüssel besorgt.«
Ich hatte noch ein halbes Brötchen auf dem Teller liegen und musste passen. Ich wollte das Frühstück bezahlen, aber Harry wehrte sich dagegen. Er hätte sich auch gewehrt, hätte ich in einem Hotel übernachtet. Ich würde in seiner Wohnung schlafen, wenn ich die Nacht über bleiben musste, denn es gab da auch ein Gästezimmer.
Harry Stahl durfte seinen Opel in einem Bereich abstellen, der nur für die Autos bestimmter Personen vorgesehen war.
»Wohin jetzt?«, fragte ich, als wir in seinem Opel Insignia saßen.
»Wir werden nach Wiesbaden fahren und uns in Ellen Peters’ Wohnung ein wenig umschauen, falls du nichts dagegen hast.«
»Was sollte ich dagegen haben?«
Harry Stahl lachte und schlug mir auf die Schultern. »Ich bin froh, dass du hier bist, alter Junge.«
»Ja, ich auch.«
Er nahm eine Hand vom Lenkrad und ballte sie zur Faust. »Und wir werden sie finden, John. Verdammt, wir werden sie finden.«
»Genau das meine ich auch …«
***
Da es nicht regnete und sich sogar ein blauer Himmel zeigte, gab es nicht so viele Staus wie bei schlechtem Wetter. Wir kamen gut durch und fuhren dann in die Gegend, in der die Tote früher gelebt hatte.
Es war eine vornehme Umgebung. Alte Villen standen dort. Sie wurden von großen Gärten umgeben, die zu dieser Jahreszeit ihr goldenes Herbstlaub angelegt hatten und sich unter dem blauen Himmel scharf abhoben.
Die Straße war breit, durch die wir fuhren, aber hier hatte Ellen Peters nicht gelebt. Wir mussten in eine Nebenstraße fahren. Hier standen keine Villen, sondern Mietshäuser, die schon Jahrzehnte auf dem Buckel hatten.
Und hier stoppte Harry den Wagen. »So, da wären wir.«
Wir stiegen aus, und Harry deutete auf ein Haus mit weißer Fassade. Es stammte aus der Gründerzeit und war toll in Schuss.
Um die Haustür zu erreichen, mussten wir einen herbstlichen Vorgarten durchqueren, in dem zwei Bänke aus Eisen standen und den Eingang flankierten.
Harry Stahl
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