1852 - Die Galornin
dies hatte der Drache ihr nicht nehmen können.
Alles das kristallisierte sich für sie während vieler Tage und Nächte des Schlafens heraus, als ihre Seele in der Form ihrer Träume zu ihr sprach und durch die Arbeit des Unterbewußtseins die ersten schlimmen Wunden geschlossen wurden.
Kaif wachte mehrere Male kurz auf, und immer sah sie Muum Dugesm bei sich sitzen und über sie wachen. Er redete wieder sanft auf sie ein, bis sie in neuen Schlaf versank.
Und dann, eines Tages, erhob sie sich aus dem Bett und blickte ihm tief in die Augen. Sie schaffte es nun sogar, ein schwaches Lächeln zu produzieren.
„Ich glaube", sagte sie, „ich habe lange genug geschlafen. Ich möchte wieder nach vorne blicken, Muum Dugesm. Ich bin bereit für die Welt der Erwachsenen."
Das Fundament „Was ist?" fragte Dugesm. „Du brauchst keine Angst vor der Welt zu haben. Es ist herrliches Wetter, alle Leute sind fröhlich, jeder ist dein Freund. Du brauchst dich vor niemandem zu verstecken."
Kaif Chiriatha lachte verlegen.
Es war der erste Tag außerhalb der schützenden Mauern ihres vorläufig neuen Zuhauses, eines - wie sie jetzt wußte - großen Bungalows mitten in Baaken Bauu. Dort hatte Dugesm sie aus dem Transmitter empfangen und gepflegt und behütet. Dort hatte sie die schlimmste Krise ihres bisherigen Lebens durchgemacht und überstanden.
Heute hatte er sie zum erstenmal hinausgeführt. Der Bungalow stand am Rand eines Siedlungsschwerpunkts. Nichts an ihm deutete darauf hin, daß sich darin eine Transmitterempfangsstation befand, die mit dem Schacht des Drachen in der Stadt der Kinder verbunden war. Aber wie Muum Dugesm ihr erklärt hatte, existierten noch mehrere andere solche Gegenstationen zum Schacht in Baaken Bauu.
Er war mit ihr in einen nahegelegenen Park gegangen, wo die Galornen, die dort Erholung suchten, weitgehend in sich selbst versunken waren. Überall sah Kaif sie im Gras sitzen und meditieren, tief eingetaucht in ihre Innere Welt. Eine dichte Atmosphäre des Friedens erfüllte den Ort. Ab und zu grüßte einer der Vorbeikommenden den alten Mann, doch sonst nahm man keine Notiz von ihnen, als sie sich auf eine der Bänke im Schatten eines großen Baumes mit weit ausladender Krone setzten.
„Was hat man dir in der Schule über den >Frieden für Plantagoo< beigebracht, Kaif?" fragte Dugesm, nachdem sie eine ganze Weile über belanglose Dinge geplaudert hatten. „Möchtest du mit mir jetzt darüber reden?"
Es kostete sie Überwindung, wieder mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden, aber sie nickte. Sie war es ihm schuldig, ihrem neuen Lehrmeister und dem ersten, den sie wirklich akzeptierte. Jetzt spürte sie seine immense mentale Ausstrahlung, die sie vorher, als sie fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt gewesen war, nur einmal wahrgenommen hatte.
Sie begriff, daß er ihr etwas Neues mitteilen wollte, und ihre Neugier war stärker als die Furcht vor dem, was sie vielleicht hören würde.
Sie erzählte ihm alles, und es schien ihm nicht neu zu sein.
„Das ist es, was ihr wissen und denken sollt, bevor ihr in die Welt der Erwachsenen eintretet", sagte er.
„Und was ist die Wahrheit?" wollte sie wissen.
„Man erzählt euch keine Lügen, aber auch nicht die ganze Geschichte", erläuterte der Galorne. „Es hat natürlich mit der schrecklichen Vergangenheit unseres Volkes zu tun, Kaif. Wir Galornen haben große Schuld auf uns geladen. Unsere Schiffe verbreiteten Angst, Schrecken und unermeßliches Leid in Plantagoo, bevor Londa Dad das Kasch-Phee entdeckte, das schließlich, vor rund 13.000 Jahren, die Wende und den Frieden brachte. Wir Galornen betrachten es seither als unsere Aufgabe, diesen Frieden in unserer Galaxis zu bewahren.
Alle Lebewesen von Plantagoo sehen wir als unsere Schutzbefohlenen an. Was wir in unserer wilden Vergangenheit angerichtet haben, müssen wir wiedergutmachen - deshalb das Diktat des Friedens. Wir sind sein Garant. Wer ihn bricht, muß mit furchtbaren Konsequenzen rechnen."
„Konsequenzen?" fragte Kaif. „Welche zum Beispiel?"
„Zum Beispiel das sogenannte Shifting. Wenn ein Volk aggressiv wird und seine kriegerischen Aktionen den Frieden in Plantagoo gefährden, wenden wir Galornen das Shifting an. Es bedeutet, daß die betroffenen Wesen ihrer Aggressionen vollkommen beraubt werden. Gleichzeitig verlieren sie einen Teil ihrer natürlichen Lebensspanne. Allein diese Aussicht genügt vielen Völkern, erst gar nicht gegen die Gesetze des Friedens
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