1862 - Aufbruch der Herreach
Fremden waren lästig, und man wurde sie nicht mehr los, auch wenn man sie ignorierte. Also mußte man sich mit ihnen auseinandersetzen, um einen anderen Weg zu finden.
Und dann war etwas noch Fremderes und sehr Böses in ihr Leben getreten, das sie alle bedrohte. Sie hatten die Angst kennengelernt, Alpträume, vielfachen gewaltsamen Tod. Im Gegensatz dazu hatten sie erfahren, wie es ist, sich über einen Erfolg zu freuen. Böses abzuschütteln und zu überwinden.
Zusammenzuarbeiten und füreinander dazusein. Wie ihre Welt nun in zwei Hälften geteilt war, in Hell und Dunkel, hatte sich auch bei ihnen alles geändert. Es gab keine ewige Gleichförmigkeit, ständig wurde man mit Abwechslung, immer Neuem konfrontiert. Sie hatten gelernt, daß die eine Hälfte ohne die andere nicht existieren konnte.
Jetzt gab es für sie nur noch diesen einen Schritt zu tun. Wenn sie den Mut dafür nicht aufbrachten, schlugen sie eine Tür zu, die vermutlich nie mehr geöffnet werden konnte. Und sie verurteilten ihr eigenes Volk zum Untergang. Jeder einzelne Herreach mußte diese Entscheidung fällen, er konnte nicht gleichgültig darüber hinweggehen.
*
Presto Go las diese Gedanken in jedem einzelnen, während sie ihre Blicke umherschweifen ließ. Ihr selbst war dieser Schritt vermutlich am schwersten gefallen, doch war sie stets tatkräftig gewesen und hatte ihr Schicksal von Anfang an energisch in die Hand genommen.
Stets konsequent, hatte sie eingesehen, daß ihr Weg nicht der richtige war, weil ihr Volk in ein Geschehnis hineingezogen worden war, von dem es nicht allein betroffen warund aus dem es allein auch nicht mehr herauskam.
Sie mußte sich einst als stur und fanatisch beschimpfen lassen, aber sie war auch intelligent und allem gegenüber offen, um sich stets ihre Position sicher zu halten. Nicht umsonst war sie einst die jüngste Oberste Künderin geworden und heute die am längsten amtierende.
Nachdem sie ihre Beobachtungen abgeschlossen hatte, forderte Presto Go die Anwesenden energisch auf: „Also gehen wir dagegen an, mit allen notwendigen Mitteln und Opfern!"
„Bedeutet das aber wirklich sofort den Extremfall, diese Welt zu verlassen?" wollte einer der Clerea-Priester wissen.
„Gibt es eine Alternative?" fragte Presto Go zurück.
Die Herrachischen Freiatmer und die Priester steckten unruhig murmelnd die Köpfe zusammen. Die anderen, die sich nicht daran beteiligten, störte das nicht. Sie wußten genau, daß es keine Alternative gab. Jeder für sich hatte darüber nachgedacht.
„Wir müssen auf jeden Fall gehen", flüsterte Tarad Sul Caljono Yai ganz leise zu.
„Das werden wir auch", zischelte sie zurück. „Hab Geduld! Es geht hier vor allem um den Glauben öder zumindest die Reste davon - das ist nun mal ihre Weltanschauung. Doch da selbst Presto Go das eingesehen hat, werden auch die anderen erkennen, daß es keinen Weg gibt außer diesem."
„Es ... ist ... nicht ... leicht ...", sagte Gerek Dur schließlich .sehr langsam. „Doch es gibt wohl keine Alternative. Wir müssen handeln. Also ... werden wir auch unsere Welt verlassen müssen."
„Diese Entscheidung muß jeder einzelne treffen, denn sie ist die wichtigste unseres Lebens", sprach Presto Go gelassen. „Doch ist sie auch die einzig richtige - sonst hätte ich das wohl nicht erkannt."
„Einige von uns", fügte Vej Ikorad ruhig hinzu, „hatten ohnehin mit den Terranern vereinbart, zu ihrer Heimatwelt zu fliegen und von ihnen zu lernen. Dies ist zwar eine andere Voraussetzung, aber dennoch sollten wir den Schritt jetzt wagen. Die Terraner sind nicht unsere Feinde, und sie brauchen unsere Hilfe. Und vergeßt eines nicht: Unser Überleben verdanken wir ausschließlich ihnen."
„Aber die Vorstellung, die Welt zu verlassen ... zu fliegen, ist so grauenvoll ...", stammelte Gerek Dur.
„Das verlangt doch niemand von dir", wehrte Caljono Yai sanft ab. „Nur Freiwillige werden gehen. Ich selbst, Vej Ikorad und Tandar Sel und andere, die dazu bereit sind. Wir brauchen mindestens fünftausend Freiwillige, weil wir sonst Schimbaa nicht erschaffen können."
„Glaubst du denn, daß sich so viele in dieser kurzen Zeit finden lassen?" warf ein Priester ein.
„Leicht", antwortete zur Überraschung aller Tarad Sul. „Wir wissen schon seit dem Tod der Para-Begabten und unseren Visionen, daß wir das tun müssen. Ich sagte doch, daß ich mit vielen gesprochen habe. Es trifft uns nicht unvorbereitet. Wir werden fünftausend Herreach
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