1862 - Aufbruch der Herreach
Innerhalb des Schutzfeldes war der Sauerstoffgehalt auf den gewohnt niedrigen Pegel reguliert worden, aber natürlich würden alle die Nachwirkungen in der Nacht spüren.
Soviel Sauerstoff auf einmal mit nur einem Atemzug! Jeder von ihnen hatte mehrmals mit den kräftigen Kollektorlungen ganz tief eingeatmet, um diese wunderbar weiche und duftende Luft auf sich einwirken zu lassen. Sie alle waren sozusagen betrunken vom Sauerstoff und würden sich sicherlich bald hinlegen.
Der Zustand war recht angenehm, jeder Schritt war so leicht, fast schwebte man dahin, aber natürlich machte es auch sehr müde ...
Caljono Yai stellte fest, daß die Sicht hier nicht so klar war wie auf Trokan, sondern verschwommener, weicher, die Übergänge sanfter. Die Farben leuchteten intensiver, in der Entfernung wurde alles rasch diffus.
Das lag nicht nur an ihrem leichten Schwindel, Caljono Yai war das sofort nach dem ersten Schritt aufgefallen.
Wir werden die Schutzhülle auch beim Philosophen brauchen, sonst kippen wir mit denn vielen Sauerstoff sofort um, dachte die Mahnerin. Ich muß das Adams morgen sagen. Aber erst morgen. Oder einem der Roboter.
Zufrieden stelzte sie zurück zu ihrer Unterkunft. Was für ein Tag! dachte sie noch, dann war sie eingeschlafen.
7.
Terra, 17. Juli Am frühen Morgen gab es bei manchen leichte Desorientierungen, doch die meisten Herreach fanden sich schnell zurecht.
Caljono Yai informierte Adams über den geplanten Einsatz und bat ihn um Ausweitung des Schutzfeldes bis zum Standort des Philosophen.
Dann machten sich die 5000 Herreach auf den Weg zum Sitz des Philosophen.
„Hoffentlich hast du recht mit deiner Vermutung", meinte Tarad Sul. „Was ist, wenn er uns angreift?"
„Ich glaube nicht, daß er das in unserer Dimension kann, nach allem, was mir Mila und Nadja berichtet haben", antwortete Caljono Yai. „Und auf der anderen Seite - wir öffnen lediglich das Tor, sind jedoch körperlich nicht angreifbar. Mental konnte uns bisher nicht einmal die Macht auf der anderen Seite besonders viel anhaben. Einige von uns wurden zwar eingesaugt, und wir alle haben ständig ein ungutes Gefühl, aber das sehe ich nicht als besondere Gefahr an. Glaub mir, ich habe recht."
Während des kurzen Marsches an den Rand des Philosophensitzes hatten die Herreach genügend Gelegenheit, sich umzusehen, und nutzten das auch aus.
Auf den ersten Blick war diese Landschaft Trokan nicht unähnlich gewesen, aber nun, bei genauerem Hinsehen, erkannten sie doch sehr viele Unterschiede.
Das Gebiet war vollkommen verlassen, die Menschen waren evakuiert worden. Den Herreach war das nur recht, sie wollten unter sich sein und ungestört das Gebet zusammen erleben. Sie akzeptierten die ehemals Fremden inzwischen, legten aber keinen großen Wert auf engere Kontakte.
In der Ferne, außerhalb des Schutzfeldes, entdeckte Caljono Yai hin und wieder bizarre Tiere, die ruhig über die Savanne wanderten und Gras und Blätter fraßen. Noch interessanter waren die zwar wenigen, aber sehr fremden und ebenfalls bizarren Laute, die sie umgaben, vor allem von den Bäumen her. Dort waren auch öfter huschende Schatten zu erkennen, die geschickt zwischen den Ästen umherturnten oder hüpften.
Doch dann erschrak die Mahnerin beinahe zu Tode und warf sich platt zu Boden.
Ihr Alptraum, den sie zu Beginn des Einflusses zum ersten Mal gehabt hatte, schien wahr geworden zu sein. Von einem entfernten Baum erhoben sich drei riesige, dunkle Schatten, breiteten ihre Arme weit aus und flogen mit einem hohen Pfeifen über die Prozession hinweg.
Caljono Yai war nicht die einzige, die fiel. Die Menge geriet in eine Wellenbewegung, als die meisten Herreach sich zu Boden warfen oder zumindest duckten. Sämtliche Bewegungen kamen zum Stocken oder zum Stillstand.
Obwohl sie schreckliche Furcht empfand, riskierte Caljono Yai einen Blick zum Himmel. Die drei Schatten waren kleiner geworden, so hoch waren sie aufgestiegen, und ihre Schreie klangen dünn und traurig.
Dann drehten sie ab und verschwanden hinter dem Horizont.
„Was ...was ... was war das?" fragte sie stotternd den Roboter, der ihr wieder auf die Beine half.
Verdutzt sah sie den Großteil der Herreach am Boden liegen, sich langsam aufrappelnd und den Staub aus den Kutten klopfend.
„Das waren Vögel", antwortete der Roboter. „Afrikanische Königsadler. Ein Pärchen und sein Junges.
Sie sind zur Jagd abgeflogen."
„Vögel ...", murmelte die Mahnerin. „Das also sind Vögel.
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