1865 - Zeit des Terrors
Helter Baaken endeten.
Wieder einmal war sie allein und lag unter dem schwarzen Baldachin. Sie hatte lange gearbeitet und sich erschöpft. Sie hatte wieder viele Stunden lang gegen das angekämpft, was aus ihr hinauswollte.
Hier hatte sie immer ihre innere Ruhe gefunden, allein oder mit Partnern. Weshalb also sollte es nicht wieder so sein?
Wenn ich in meinem früheren Leben hier das Licht fand und die Kraft daraus, sagte sie sich, warum sollte ich mich jetzt nicht mit der Kraft des Dunkels stärken und aufladen können?
Sie hatte schon einige Male mit dem Gedanken gespielt, aber war doch noch davor zurückgeschreckt. Es waren zweierlei Dinge, von der Aggression und allem beherrscht zu werden, was sie früher gefürchtet hatte, und sich diesem „Dunkel" auch noch bewußt anzuvertrauen.
Kaif hatte bisher jedesmal darüber gelacht, denn sie war das Dunkel, es war ein anderes Leben. Es war aber auch das Leben, in das sie geboren worden war, bevor der Drache sie vergewaltigt und zum harmlosen Etwas gemacht hatte.
Und dennoch hatte sie gezögert.
Jetzt versuchte sie es.
Kaif Chiriatha holte tief Luft und starrte zur Decke. Sie versuchte wie früher in sich selbst hinabzutauchen. Daß sie nicht mehr dazu in der Lage war, mit dem Kern allen Seins zu verschmelzen, wußte sie. Aber das mußte ja auch gar nicht sein. Es würde ihr reichen, wenn sie die Schwärze in sich spürte und mit ihr verschmolz.
Also versenkte sie sich in sich selbst. Ihr Geist tauchte in wohltuende Dunkelheit, die ihr Wonnen bescherte, und sie wollte noch tiefer hinab.
Ungeheuer tauchten aus der Schwärze auf und begleiteten sie auf dem Flug durch den inneren Weltraum, hinaus in unendliche Fernen. In neue Galaxien, begleitet von Tausenden Schwarzer Raumschiffe; in neue Universen, in die Unendlichkeit und an deren Ende, wo ein neues Multiversum begann.
Und dann - der Tod.
Der Tod von allem, was gewesen war, aber gleichzeitig die Geburt des neuen Kosmos aus den bis zur Singularität verdichteten Resten des alten. Und sie war dabei. Sie war der Geist, der alles erfüllte; der mit jedem Partikel kosmischer Gase in die neue Unendlichkeit hinausraste, wo sich aus diesen Partikeln kosmische Gaswolken bilden würden, Protosysteme und Galaxien mit neuen Sonnen und - später - neuen Planeten, auf denen sich wieder Leben entwickeln würde.
Und sie war als allgegenwärtiger Geist überall drin und dabei.
Die alleinige Beherrscherin der Universen.
Die Herrin der Sonnen und der Planeten. Die Herrin und Bewahrerin des Lichts und des aufstrebenden jungen Lebens.
Kaif Chiriatha schrie und bäumte sich auf ihrem Lager auf. Sie starrte den schwarzen Himmel über sich an, und wie einen Nachhall ihres „Traumes" sah sie wieder die Sterne und die Galaxien ... und dann das verhaßte Gesicht von Ce Rhioton, dem zweiten Boten von Thoregon, und links von ihm Seda Galoer, Lopt Zadheven; rechts von ihm Muum Dugesm, Pega Mrion ...
„Nein!" schrie sie und wälzte sich von dem Bett. „Verschwindet, geht weg! Ich habe euch nicht gerufen!"
Ich habe es doch! dachte sie, als sie sich beruhigt hatte und die Geister erloschen waren.
Sie war zu tief in sich hineingetaucht, tiefer, das begriff sie, als die Schale inzwischen dick war, die ihr Innerstes mit Dunkelheit und Haß umgab.
Tief in ihr selbst gab es doch noch das andere.
Aber sie wollte das nicht. Damit war Schluß.
Plötzlich brach sie zusammen und lag zuckend auf dem Boden ihres intimsten Zimmers, und sie tat das, was sie nach Dauw Cballahs Tod nur noch einmal gekonnt hatte.
Dort, wo sie niemand sehen und hören konnte, heulte die große neue Herrin der Schwarzen Sternenflotte wie ein nacktes, schutzloses Kind.
*
Fünf Stunden später war das alles vergessen und verdrängt.
Kaif Chiriatha hatte sich zum Regierungshochhaus abstrahlen lassen und dort das getan, was sie bisher versäumt hatte: Einzelne Ratsmitglieder aus der Gruppe jener, auf die sie auch in Zukunft zählen wollte, wurden nun mit direkten Aufgaben betraut, die über ihre Kontrolle nach unten hinausgingen.
Suun Mooam übertrug sie im Provisorischen Rat zum Beispiel die Kontrolle über den Weltraum, also über alle Schiffsbewegungen inner- und außerhalb der Pentrischen Wolke. Die Ausnahme bildete Tribath mit der Schwarzen Flotte. Hier wollte nur Kaif selbst und allein handlungs- und weisungsbefugt sein.
Den Aufbau der Polizeitruppe legte sie in die Hände von Duuth Nargohm. Er hatte ihr dafür zu garantieren, daß es zu keinen
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