187 - Die Wolfshexe
irgendwo im Haus versteckt hatte. Vom Keller bis zum Dachboden suchte ich sie in jedem verborgenen Winkel.
Nichts.
Sie war nicht mehr da.
Sie hatte mir nicht die Freude gemacht, auf meine Rückkehr zu warten. Ich fluchte, um meine aufgestaute Wut loszuwerden. Wer alles in sich hineinfrißt, wird krank.
***
Shirley Everett erzählte mir von Hyram Oaks. Ich hatte ihr zwei Beruhigungstabletten, in Wasser aufgelöst, eingeflößt, damit sie nicht zusammenklappte. Jetzt war mir klar, warum sich Sally - oder wie immer sie heißen mochte - in dieses Spukhaus einquartiert hatte.
Es war vom Bösen seit vielen Jahren verseucht und somit ein Ort, an dem sie sich wohl fühlte. Schwarzmagische Kräfte verfügen im allgemeinen über eine große Haltbarkeit.
Wo sie einmal waren, dorthin kehren sie mit Vorliebe zurück. Mich hätte wirklich interessiert, welche Farbe Sally Reynolds’ Blut hatte.
Höchstwahrscheinlich war es nicht rot, sondern schwarz. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war sie kein Mensch, sondern ein Höllenwesen.
Die schwarze Macht bediente sich sehr gern solcher perfekter Verpackungen, weil sich damit so gut wie alle Menschen täuschen ließen. Sogar bei mir war diese Rechnung voll aufgegangen. Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt.
Während Shirley Everett still um ihren Mann weinte, fragte ich mich, wie ich es anstellen sollte, um noch einmal auf Sally zu stoßen.
Sie war gefährlich und unberechenbar, und sie spielte ihre schwarze Kraft rücksichtslos aus, das hatte sie in Robert Everetts Fall bewiesen.
Was hatte er ihr denn schon getan? Beim Fenster hatte er hineingesehen, und sie hatte dieses Verbrechen schwerstem bestraft.
Kalt, mitleidlos und grausam war dieses schöne Mädchen. Das waren diese Höllenwesen alle. Irgendwie gingen sie immer nach dem gleichen Verhaltensmuster vor. Nur ihr Äußeres unterschied sie voneinander. Ich sah Shirley Everett unglücklich weinen und schwor mir, dafür zu sorgen, daß das Schicksal ihres Mannes nicht ungesühnt blieb.
***
Wie ich es vorhergesehen hatte, fiel Tucker Peckinpah aus allen Wolken, als ich ihm erzählte, was für eine falsche Schlange Sally Reynolds war.
»Und ich habe Sie auch noch mit ihr bekannt gemacht«, sagte der Industrielle erschüttert.
»Sie hat das sehr geschickt eingefädelt. Anscheinend hatte sie es von langer Hand geplant«, sagte ich.
»Aber wozu inszenierte sie dieses über lange Strecken undurchsichtige Verwirrspiel?«
»Diese Frage würde ich ihr gern stellen, aber ich weiß nicht, wo sie steckt.«
»Vielleicht ist sie in die Hölle zurückgekehrt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Irgendwie fehlt mir bei der ganzen Geschichte noch die grausige Pointe, das Tüpfelchen auf dem i.«
»Sie glauben, da kommt noch etwas nach?«
»Ich bin davon überzeugt.«
»Übrigens, Pater Severin rief mich an. Er machte sich Sorgen, weil Sie aus dem Pfarrhaus verschwanden, ohne ihm eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Dazu war leider keine Zeit, und als ich ihn anrufen wollte, kam ich nicht durch.«
Der Industrielle rief den Priester an und bekam ihn sofort an die Strippe. Er sprach kurz mit ihm und gab dann den Hörer an mich weiter.
Pater Severin wollte mir den Kopf waschen, aber ich lieferte ihm eine Erklärung für mein Verhalten, die für ihn akzeptabel war.
»Ehe ich es vergesse«, sagte Tucker Peckinpah, nachdem ich aufgelegt hatte, »es ist nicht mehr nötig, daß Sie sich verstecken, Tony. Die Polizei sucht Sie nicht mehr. Es ist mir gelungen, die Fahndung abzuwürgen.«
»Danke, Partner«, sagte ich. »Dann kann ich ja wieder in meinem eigenen Haus wohnen.«
»Ich möchte Ihnen noch etwas zeigen.« Der Industrielle bat Cruv, die Videokassette aus dem Safe zu holen. »Ich habe mir die Aufzeichnung heute noch einmal angesehen.«
Mir schnürte es die Kehle zu. Ich hatte kein großes Verlangen danach, dem Mann im schwarzen Trenchcoat noch einmal bei der »Arbeit« zuzusehen, aber der Industrielle wollte mir das Band unbedingt Vorspielen.
Angespannt starrte ich auf den Bildschirm.
Wieder sah ich das nackte Mädchen, aber es war nicht mehr Sally Reynolds, sondern irgendein Mädchen, das ich nicht kannte. Sie sah Sally nicht einmal entfernt ähnlich.
Der Mann im schwarzen Trenchcoat betrat den Raum.
Es war auch nicht mehr das Schlafzimmer in Sallys Wohnung, und die Szene war eine ganz andere. Von einem Messer war keine Rede mehr, sondern von Liebe. Der Mann beugte sich über das Mädchen,
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