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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Anhang dort rauf! Es ist eine Abkürzung! Wenn du oben bist, halte dich links. Du kannst den Gasthof nicht verfehlen, denn neben ihm steht der Turm der Hafenmeisterei: Auf dem Dach thront eine Drachenfratze, die so abscheulich aussieht, dass man sie sich lieber nicht anschaut, wenn einem übel ist. Ich werde…«
    »Kommst du nicht mit?«
    Yonniboi hielt sich erneut an Rulfans Weste fest. »Im Gegensatz zu dir möchte ich den Rest meines Lebens hier verbringen. Du verstehst sicher, dass ich mich deswegen nicht exponieren will.« Seine Augen blitzten auf. »Ich kann dir aber anderweitig helfen!« Er deutete dorthin, wo sie heute Mittag gewesen waren. »Selbst wenn es dir gelingt, deinen Freund vor Kaoma und seinen Brüdern zu retten: Bleib keine Sekunde mehr auf dieser Insel! Sieh zu, dass du Land gewinnst!« Er klopfte Rulfan auf die Schulter und tauchte in der Finsternis unter.
    »Yonniboi?« Rulfan lauschte, aber er hörte nichts. Kein Geräusch. Keinen Schritt. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn seinem dienstbaren Geist ein fliegender Teppich zur Verfügung stand.
    Er musterte den Hügel, setzte sich in Bewegung und lief über kurzes Gras. Seine aufgrund der mangelnden Bewegung an Bord der PARIS verkürzten Muskeln wurden langsam wieder geschmeidig. Die untere Hälfte des Abhangs brachte er problemlos hinter sich. Als er oben ankam, schnaufte er wie ein Walross und musste sich eingestehen, dass achtundfünfzig Jahre leider doch Auswirkungen auf den Menschen hatten.
    Er sah den Turm mit der Drachenfratze sofort und hielt auf ihn zu. Auf dem Weg dorthin traf er nur wenige Menschen. Die meisten Erwachsenen schienen sich im Hafen aufzuhalten.
    Einige Kinder, die ihn kommen sahen, nahmen Reißaus.
    Dann hörte er ein Poltern, dem das Klirren einer Scheibe folgte.
    Rulfan befürchtete das Schlimmste. Er riss im Lauf sein Schwert heraus. Die Gaststube war nicht verschlossen. Wo er getafelt hatte, schienen Granaten eingeschlagen zu sein: Tische waren umgekippt, Stühle zerschmettert, der Spiegel hinter dem Tresen war ein Scherbenmeer.
    Hier und da stand noch ein Tisch. In bauchigen Flaschen steckende Kerzen tauchten die Szenerie in ein gespenstisches Licht. In einem Raum neben der Gaststube wurde gekämpft.
    Rulfan vernahm das Klirren von Metall, das Schnaufen von Männern, das Scharren von Stiefeln auf Holz und wütend und kehlig hervorgestoßene Flüche.
    Vor dem Tresen lag eine schlaffe Gestalt. Als Rulfan sie sah, setzte sein Herzschlag kurz aus. Er eilte zu dem Gefallenen hin. Als er ihn auf den Rücken drehte, sah er, dass es der Sheriff von Deadwood war. Er war bleich wie der Tod und schon im Jenseits. Jemand hatte ihm einen Säbel quer durchs Gesicht gezogen.
    Wo steckte Victorius?
    Rulfan richtete sich auf. Wenn Liwáns Brüder keinen Respekt vor dem Gesetz hatten, machten sie bestimmt auch nicht viel Federlesens mit einem Mann, von dem sie glaubten, er wolle ihre Schwester »stehlen«.
    Die Tür, hinter der Rulfan die Küche vermutete, wurde jäh von innen aufgestoßen. Der Türsteher fluche und taumelte rückwärts über die Schwelle. Er verlor zuerst den Helm und dann das Gleichgewicht. Während er mit den Armen ruderte, um einen Sturz zu vermeiden, fiel ein Mann mit einem blutigen Säbel über ihn her.
    Rulfan, nur zwei Meter hinter dem Türsteher, hörte ein Rumsen. Zuerst glaubte er, er sei gegen den Helm des kleinen Burschen getreten, doch dann sah er, dass es sein abgetrennter Kopf war. Der kleine Mann fiel zu Boden. Seine Arme und Beine schlugen und traten um sich und warfen einen Stuhl um.
    Der Mörder schrie überrascht auf, als Rulfan mit der Klinge in der Hand vor ihm auftauchte. Er gehörte zu den dreien, mit denen Kapitän Kaoma Saleh von Bord des Katamarans gegangen war: ein schlanker, etwa zwanzig Jahre alter Kerl mit schwarzer Mähne und schiefen Zähnen.
    Er wich zurück, nahm geduckte Haltung an und rief nach jemandem, wobei er das Risiko einging, einen kurzen Blick in den Raum zu werfen, aus dem er gekommen war.
    Rulfan nutzte die Chance: Seine Rechte fegte über den Tresen, erwischte eine heil gebliebene Flasche und drosch sie Schiefzahn unters Kinn. Der Malaie ließ seine Klinge fallen und verdrehte die Augen. Ein gezielter Tritt ließ ihn nach hinten wanken – in die Küche hinein, in der er sich noch kurz zuvor mit Liwáns Türsteher geschlagen hatte.
    Rulfan folgte ihm schnell. Als er über die Schwelle trat, sah er an den Wänden eine Menge Blut und auf dem Boden die aufgeschlitzte

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