189 - Die Regenbogenschlange
Junge hatte ein rundes Gesicht mit dünnen Lippen, die nicht zu seinen fleischigen Wangen passen wollten.
Während Chris das Portmonee in die Gesäßtasche seiner Jeans steckte, sah er aus den Augenwinkeln, dass die anderen vier Anangu aufgestanden waren. Er brüllte den Dieb an: »Was soll das, du Idiot? Was denkst du, wie viel da drin ist? Willst du für fünf Dollar in den Bau?«
Die anderen Jugendlichen gaben sich untätig. Das Mädchen betrachtete die Spitzen seiner dünnen braunen Stiefel.
»Und das, wo du ein Anangu bist!«, herrschte Chris den überraschten Jungen weiter an, der schlaff vor ihm stand und sich gegen seinen festen Griff nicht wehrte. »Es gibt immer noch genug Weiße, die Vorurteile gegen uns haben, und du machst so eine Scheiße!«
Der Junge versuchte jetzt sich loszureißen. Seine Faust zuckte vor. Chris packte seinen Unterarm mit der linken Hand, kam mit seiner rechten zu Hilfe und klemmte den Arm seines Gegners zwischen Schulter und Hals. Schon dort setzte er einen schmerzhaften Hebel an, während er einen Schritt nach vorne machte und den Ellbogen seines Gegners nach oben drückte.
Der Junge wimmerte auf. »Lass mich los!«, schrie er.
»Vielleicht sollte ich dich besser zur Polizei bringen. Damit du was aus dieser Nacht lernst.« Parkers dunkelbraune Augen musterten den Jungen wütend. Er war um gut zehn Jahre jünger als Chris. Fast noch ein Kind. Vielleicht begriff er in dieser Nacht, dass man auch an den Falschen geraten konnte. Chris verstärkte den Hebel, als der Junge versuchte, mit der freien Hand nach ihm zu schlagen. Das war aussichtslos. So wie er den Arm des Jungen verdreht hatte, gelang es ihm nicht, Kraft aufzubauen. Wenn Chris es gewollt hätte, hätte er ihm den Arm mit Leichtigkeit brechen können.
»Lass ihn los!«, forderte jetzt einer der anderen Jugendlichen. Er zog ein Messer unter seiner Jacke hervor, hob den Arm und stürmte auf Chris zu. Parker reagierte sofort und benutzte den Jungen vor sich als Schutzschild. Das Messer drang in dessen Schulter, und der Junge mit dem runden Gesicht schrie schmerzerfüllt auf.
»Du blödes Arschloch!«, brüllte er seinen erschrockenen Freund an.
Chris stieß ihn von sich und bereitete sich darauf vor, den zweiten Jungen zu entwaffnen. Da trat plötzlich das Mädchen zwischen sie. Ihr weiter Rock wippte um ihre langen Beine.
Eine mit Plastikperlen verzierte Tunika hing an ihrem dürren Körper herab. Sie hatte ein hageres Gesicht und enge Schlitzaugen.
Ihr Haar war unter einer braunen Baskenmütze verborgen.
Chris blinzelte. Die Zeit schien plötzlich langsamer zu vergehen, während das Mädchen den Jungen mit dem Messer mühelos zur Seite schob. Ihre schmalen Augen betrachteten ihn voll Verachtung.
»Verschwinde, oder ich hetze die Regenbogenschlange auf dich!«, fuhr sie ihn mit kratziger Stimme an.
»Die Regenbogenschlange?« Der Satz verwirrte Chris. So weit er wusste, war die Regenbogenschlange für die Ureinwohner eine Art Schöpfer, ähnlich dem Gott in der Bibel.
Sie hatte das Land mit all seinen Eigenarten nach der großen Flut geschaffen. Wie sollte man ein solches Geschöpf auf ihn hetzen können?
»Sie wird dich kriegen!«, zischte das Mädchen. Ihr Gesicht verzerrte sich, wurde immer länglicher. »Sie wird dich fressen!«
Die Bushaltestelle und die Jungen verschwanden. Karge Wüste tauchte stattdessen vor Chris Parker auf. Die Luft flimmerte vor Hitze. Rote Steine erhoben sich aus dem Sand und die Sonne schien erbarmungslos auf die Szenerie. Es gab nur noch ihn und das Mädchen in der perlenbestickten Tunika.
»Träume ich, oder bin ich wach?«, fragte Chris laut, wie er es seit einiger Zeit jeden Tag mehrmals tat. Er sah sich in der Wüstenlandschaft um, und sein Bewusstsein meldete sich zu Wort. Du träumst, Chris. Du hast wieder von dem Tag vor drei Wochen geträumt, als du überfallen wurdest und drei der Kerle ins Krankenhaus brachtest.
Das Mädchen vor ihm hatte sich zuckend verwandelt. Sie war zu einer blaugrünen Schlange geworden, gut drei Meter lang. Ihre Schuppen schillerten im Licht der Wüstensonne in den Farben von Smaragden und Saphiren. Ihr dreieckiger Kopf war hoch über den Boden erhoben, auf der Höhe seiner Brust.
Sie öffnete zischend das Maul, und Chris sah zwei lange spitze Giftzähne, die gefährlich nah an seinem Körper waren. Ein Tropfen gelblicher Flüssigkeit troff aus einem der Zähne.
Kleine hungrige Augen fixierten ihn unbarmherzig. Der Schlangenkopf zuckte auf ihn
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