189 - Die Regenbogenschlange
Weiß, eine gewaltige schwankende Masse. Sie stürmte nach vorn und schlug mit dem Schwert zu, wieder und wieder, hieb und hackte, und schließlich traf sie. Blut spritzte, übergoss sie mit einer Fontäne, doch Aruula gab jetzt nicht nach. Sie drang weiter vor und hatte das Gefühl, als würde das Reptil nun vor ihr zurückweichen, vielleicht sogar fliehen wollen…
Sie sollte es nie erfahren. Sie hatten beide den Abgrund erreicht, die Schlange voraus, und ihr gewaltiger Leib rutschte über den nassen Fels, glitt über den Abgrund – und hing für einen oder zwei Herzschläge lang im Nichts, bevor er abstürzte.
***
Aruula drehte sich um und taumelte zu der Kuhle, in der das riesige Ei lag. Dann begann sie zu kichern und schließlich zu lachen. Ihre Stimme brach sich an den Wänden.
Wie sollte sie dieses riesige Ding tragen?
Nach einer Weile beruhigte sie sich wieder, wischte sich Schweiß und Blut von den Augen, während sie das eiförmige Ding näher in Augenschein nahm. Vorsichtig klopfte sie mit dem Fingerknöchel dagegen und verharrte erschrocken, als etwas von der Hülle abbröckelte. Sie nahm das Bruchstück in die Hand; es wirkte wie eine Kruste aus Lehm und Dreck.
Ablagerungen, die sich im Laufe der Zeit um das Ei gelegt und es in eine schützende Umwandung gehüllt hatten.
Aruula machte weiter und hackte die dicke Kruste Schicht um Schicht ab. Das Ei wurde dabei immer kleiner und nahm eine mehr und mehr perfekt runde Form an, und schließlich erreichte Aruula eine Schicht, die wie aus weißem Kalk wirkte, überzogen mit Anangu-Symbolen. Dies war wohl das ursprüngliche Ei, das sich jetzt als Kugel entpuppte. Immer noch groß; sie musste es mit beiden Händen tragen, aber das war zu schaffen.
Aruula sah sich in der Höhle um. Von der Schlange keine Spur mehr, nur noch ihr Blut und einige schuppige Hautfetzen waren übrig.
Von dem weißen Schatten keine Spur. Was war das nur für ein geheimnisvolles Wesen, das sie verfolgte und immer dann eingriff, wenn es brenzlig wurde?
Müßig, jetzt darüber nachzudenken. Erleichtert nahm Aruula das Ei in die Hände und machte sich auf den Rückweg.
***
Durangi hatte die Krieger immer wieder ermahnt, sich in Geduld zu üben. So nahe waren sie dem Ziel schon lange nicht mehr gewesen. Hillulus Vater wetterte gegen die weiße Frau, aber Durangi wusste, das tat er nur aus verletztem Stolz, weil sie ihn zurückgewiesen hatte.
Auch wenn die Weißen fremd für die Anangu waren, und erst recht für die Lira Aranda, die sich schon ihrem eigenen Volk entfremdet hatten – so viel hatte der Schamane erkannt: dass Aruula ihr Versprechen halten würde. Sie war eine Kriegerin von Ehre. Das respektierte Durangi mehr als alles andere. Seit sie in den Schlund hinab gestiegen war, war der alte Mann von plötzlicher Zuversicht erfüllt. Er ahnte, dass die Erlösung nahe war.
Dann kehrte sie zurück, und selbst Hillulus Vater, den so leicht nichts erschreckte, erstarrte bei ihrem Anblick. Sie war über und über mit Blut besudelt, ihre Haut trotz der Sonnenbräune blass, und in ihren dunklen Augen lag ein wildes, gefährliches Funkeln.
Sie war völlig erschöpft und taumelte, als sie den Pfad heraufkam. Durangis Herz setzte für mehrere Schläge aus, als er das Ei in ihren blutigen Händen sah, das im Sonnenlicht hell aufleuchtete. In Ocker und Schwarz prangten die heiligen Symbole auf ihm.
»Hier.«
Durangi fuhr zusammen, als Aruula plötzlich vor ihm stand und ihm das kugelförmige Gebilde in die Hände drückte, ganz ohne weitere Vorbereitung, Ritual oder Feierlichkeit. Ihre Stimme klang rau.
»Dies ist, wonach sich euer Volk seit langer Zeit sehnt«, fuhr die Kriegerin fort. »Nimm es, Durangi, zeige deinem Volk die Erlösung. Mich entschuldigst du jetzt. Ich nehme ein Bad.«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging Richtung Siedlung.
***
Epilog
Aruula bestieg den letzten Berg, von dem aus der Pfad endlich nur noch abwärts ging.
Lange verharrte die schwarzhaarige Barbarin und betrachtete das weite Wüstenland, das sich unter ihr ausbreitete. In der Ferne, am Horizont, zum ersten Mal fast zum Greifen nah, lag das Ziel ihrer Reise, brennend im Licht der untergehenden Sonne, genau so, wie sie den Fels in tausenden Visionen seit ihrem Aufbruch gesehen hatte.
Ihre Gedanken schweiften zurück, zu ihrem letzten Abenteuer, das sie wieder einmal nahe an den Rand des Todes gebracht hatte – aber einem gequälten Volk zur Erlösung verholfen hatte. Aruula hatte
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