19 Minuten
ich dein bester Freund, deine Mutter, dein Vater, dein Priester. Ist das klar?«
Peter sah ihn finster an. »Kristallklar.«
»Gut. Also.« Jordan holte Notizblock und Stift aus seiner Aktentasche. »Du hast bestimmt einige Fragen. Fangen wir damit an.«
»Ich halt's hier nicht aus«, entfuhr es Peter. »Ich kapier nicht, warum ich hierbleiben muss.«
Die meisten von Jordans Mandanten waren in der Haftanstalt zunächst still und verängstigt - was dann rasch in Wut und Empörung umschlug. Doch jetzt hörte Peter sich wie ein ganz normaler Jugendlicher an. Und Jordan fragte sich, ob Peter Houghton vielleicht wirklich nicht wusste, warum er in Haft war. Jordan wusste sehr wohl, dass eine Verteidigungsstrategie, die auf Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten setzte, nur selten Erfolg hatte und maßlos überschätzt wurde, aber vielleicht war Peter ja tatsächlich irre. Das wäre der Schlüssel für einen sicheren Freispruch. »Wie meinst du das?«, fragte er nach.
»Die haben mir das doch angetan, und jetzt werde ich bestraft.«
Jordan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Peter empfand keine Reue, so viel stand fest. Er hielt sich sogar selbst für ein Opfer.
Und das war das Bemerkenswerte an einem Strafverteidiger: Im Grunde spielte das für Jordan keine Rolle. Persönliche Gefühle hatten in seinem Beruf nichts zu suchen. Er hatte schon mit Verbrechern der übelsten Sorte zu tun gehabt - Mörder und Vergewaltiger, die sich für Märtyrer hielten. Seine Aufgabe war es nicht, ihnen zu glauben oder sie zu verurteilen. Er war lediglich dazu da, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen, sie freizubekommen. Im Gegensatz zu dem, was er vorhin zu Peter gesagt hatte, war er für einen Mandanten in Wirklichkeit weder ein Geistlicher noch ein Vater noch ein Freund. Er war schlicht und ergreifend so etwas wie ein Pressesprecher.
»Nun ja«, sagte Jordan mit ruhiger Stimme, »für die Polizei stehst du nun mal unter Mordverdacht.«
»Dann sind das alles Heuchler«, sagte Peter. »Wenn man eine Kakerlake sieht, tritt man doch drauf, oder?«
»Würdest du das, was an deiner Schule passiert ist, so beschreiben?«
Peters Augen huschten weg. »Ich darf nicht mal Zeitschriften lesen«, sagte er. »Und ich darf auch nicht auf den Hof wie alle anderen.«
»Ich bin nicht hier, um deine Beschwerden aufzunehmen.«
»Wozu sind Sie dann hier?«
»Um dich freizubekommen«, sagte Jordan. »Und deshalb musst du mit mir reden.«
Peter verschränkte die Arme und ließ den Blick von Jordans Hemd und Krawatte nach unten zu seinen glänzenden schwarzen Schuhen gleiten. »Wieso? Ich bin Ihnen doch scheißegal.«
Jordan warf Peter einen düsteren Blick zu, dann stand er auf und steckte sein Notizbuch zurück in die Aktentasche. »Weißt du was? Du hast vollkommen recht. Du bist mir wirklich scheißegal. Ich mache bloß meine Arbeit, weil Väter Staat mir im Gegensatz zu dir nicht bis ans Lebensende das Zimmer einschließlich Verpflegung zahlt.« Er strebte zur Tür, blieb jedoch stehen, als er Peters Stimme hörte.
»Wieso regen sich alle so darüber auf, dass diese Idioten tot sind?«
Jordan drehte sich langsam um und merkte sich, dass weder mit Freundlichkeit noch mit Autorität in der Stimme bei Peter etwas zu erreichen gewesen war. Reagiert hatte er allein auf Wut. Wut brachte ihn zum Reden.
»Ich meine, alle weinen sich die Augen aus ... dabei waren das alles Arschlöcher. Und keine Sau hat sich darum gekümmert, als sie mein Leben kaputt gemacht haben.«
Jordan setzte sich auf die Tischkante. »Wie?«
»Verdammt, suchen Sie sich irgendeine Geschichte aus, ich habe unzählige zu bieten«, erwiderte Peter verbittert. »In der Vorschule, als sie mir den Stuhl unterm Hintern weggezogen haben und ich auf den Boden geknallt bin und alle sich einen Ast gelacht haben? Oder in der zweiten Klasse, als sie meinen Kopf in eine Kloschüssel gehalten und immer wieder die Spülung gedrückt haben, nur so zum Spaß? Oder als sie mich auf dem Nachhauseweg so heftig verprügelt haben, dass ich genäht werden musste?«
Jordan nahm seinen Notizblock zur Hand und schrieb GENÄHT? »Wen meinst du mit sie}«
»Ein ganzer Trupp aus der Schule«, sagte Peter.
Die, die du umbringen wolltest?, dachte Jordan. »Was glaubst du, warum sie es auf dich abgesehen hatten?«
»Weil es Vollidioten sind? Keine Ahnung. Die sind ein richtiges Rudel. Die brauchen wahrscheinlich einen, den sie fertigmachen können, damit der sich
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