Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
19 Minuten

19 Minuten

Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Superman-Bild auf dem Deckel. Klar hatte er sich so ein Ringbuch gewünscht. Aber vor drei Jahren, als die Dinger cool waren.
    Er rang sich ein Lächeln ab. »Danke, Mom«, sagte er, und sie strahlte ihn an, während er sich schon ausmalte, wie er wegen des blöden Ringbuchs gehänselt werden würde.
    Josie war wieder mal seine Rettung. Sie besorgte ihm aus dem Werkraum eine Rolle Klebeband. Obwohl sie sich außerhalb der Schule nicht mehr sahen, weil ihre Mütter sich vor Jahren zerstritten hatten - weshalb wussten sie beide nicht mehr genau -, war Josie nach wie vor seine Freundin. Gott sei Dank, denn sonst interessierte sich kein Schwein für ihn. Sie saßen mittags in der Cafeteria zusammen, sie lasen sich gegenseitig ihre Aufsätze vor, sie bildeten ein Team bei Versuchen im Chemielabor.
    Dank des Superman-Ringbuchs hatte der erste Tag im neuen Schuljahr mit einer Krise begonnen. Doch mit dem Klebeband und einer alten Zeitschrift hatte Peter eine Art Schutzumschlag gebastelt, den er abmachen konnte, wenn er nach Hause kam, damit seine Mutter nicht gekränkt war.
    Als sie mittags in der Cafeteria vor der Essensausgabe Schlange standen, legte Peter das Ringbuch, das ihm trotz des Schutzumschlags peinlich war, verstohlen auf das Tablett. »Ist doch eigentlich egal, was du für ein Ringbuch hast«, sagte Josie. »Scher dich doch einfach nicht drum, was die anderen denken.«
    Auf dem Weg zu einem Tisch rempelte Drew Girard Peter absichtlich an. »He, pass doch auf, du Spasti«, sagte Drew, und schon war es passiert - die Milch auf Peters Tablett kippte um und ergoss sich über das Ringbuch. Als Peter hektisch versuchte, das Papier mit einer Serviette zu säubern, riss der selbstgebastelte Umschlag, und das Superman-Motiv darunter kam zum Vorschein.
    Drew fing an zu lachen. »Trägst du vielleicht auch dein Super-man-Kostüm unter den Klamotten, Houghton?«
    »Halt die Klappe, Drew.«
    »Oder bringst du mich wenigstens mit deinem Röntgenblick zum Schmelzen?«
    Mrs. McDonald, die Kunstlehrerin, die in der Cafeteria Aufsicht hatte, trat halbherzig dazu. »Peter, los, such dir einen Platz...« Mrs. McDonald seufzte. »Drew bringt dir eine neue Milch.«
    Vermutlich vergiftet, dachte Peter. Er wischte weiter an seinem Ringbuch herum. Wenn es getrocknet war, würde es bestimmt stinken. Er bräuchte seiner Mutter ja bloß zu sagen, ihm wäre Milch darüber gelaufen. Es war schließlich die Wahrheit, auch wenn jemand anders nachgeholfen hatte. Und vielleicht kaufte sie ihm dann ein neues normales Ringbuch, so eins, wie alle hatten.
    So gesehen hatte Drew Girard ihm doch tatsächlich einen Gefallen getan.
    »Drew«, sagte die Lehrerin. »Ich meinte, sofort.«
    Als Drew auf die Theke zugehen wollte, wo die Milchpackungen gestapelt waren, stellte Josie ihm ein Bein, und er schlug der Länge nach hin. Schallendes Gelächter brach los. So funktionierte diese Gesellschaft: Du warst nur so lange ganz unten, bis du jemanden fandest, der deinen Platz einnahm. »Hüte dich vor Kryptonit«, flüsterte Josie ihm zu.
    Josie gehörte nicht gerade zu den Beliebtesten in der Klasse, weil sie eine Einser-Schülerin war. Peter war anders - er schrieb Zweien und Dreien, mal auch eine Vier. Er gehörte auch nicht dazu, aber nicht, weil er in der Schule gut war. Sondern weil er Peter war. Wenn es eine Unbeliebtheitsskala gab, rangierte Josie, wie sie wusste, noch immer höher als manche anderen. Ab und zu fragte sie sich, ob sie mit Peter befreundet war, weil sie gern mit ihm zusammen war oder weil sie in seiner Gegenwart mit sich selbst zufriedener war.
    Der Schulleiter teilte den im Medienraum der Bibliothek versammelten Schülern mit, was er wusste: Zwei Passagierflugzeuge waren ins World Trade Center gestürzt, ein weiteres ins Pentagon. Der Südturm des World Trade Center war eingestürzt.
    Die Bibliothekarin hatte einen Fernsehapparat aufgestellt, damit alle die Berichterstattung verfolgen konnten. Es war so still im Medienraum, dass Peter sein Herz klopfen hörte. Er sah sich im Raum um, blickte durchs Fenster in den Himmel. Diese Schule war keine Sicherheitszone mehr. Nirgendwo war man mehr sicher, egal, was sie einem erzählt hatten.
    War es so, wenn Krieg war?
    Peter starrte auf den Bildschirm. Schluchzende und schreiende Menschen in New York, aber vor lauter Staub und Rauch in der Luft war kaum etwas zu erkennen. Uberall brannte es, und das Sirenengeheul von Rettungsfahrzeugen war allgegenwärtig. Von dem New York, das Peter einmal

Weitere Kostenlose Bücher