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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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Frau, die durch seine Zeichnungen zu einem der bekanntesten Körper des 20 . Jahrhunderts wurde. Aber so splitterfasernackt er sich und die Seinen auch zeichnete, als arbeite er nicht mit der Feder, sondern mit dem Skalpell – anders als Gustav Klimt war Schiele offenbar keineswegs immer mit seinen Modellen im Bett, er gewann erst aus der Kluft der tatenlosen Beobachtung die Einblicke in die Untiefen der Körperlichkeit. Verstanden hat das damals noch kaum jemand. Selbst sein Galerist, der aufgeschlossene Hans Goltz aus München, schreibt ihm im März 1913 , als er nach einer Ausstellung schon wieder kein einziges Bild verkauft hat: »Aber Herr Schiele, so sehr ich mich stets über Ihre Zeichnungen freue und auch bei den bizarrsten Launen gerne mitgehe, wer soll die Bilder kaufen? Ich habe da sehr wenig Hoffnung.« Dieser Brief war das erste, was Schiele in seiner neuen Wohnung, mit der alles besser werden sollte, empfing. Nicht mehr der 9 . Bezirk, nicht mehr Schlagergasse 5 , Parterre, Tür 4 , sondern endlich 13 . Bezirk, Hietzinger Hauptstraße 101 , 3 . Stock.
    Die Mutter von Egon Schiele sah alles genauso wie sein Galerist – »bizarre Launen«, das hätte von ihr stammen können. Sie wirft ihrem Sohn nicht nur sittliche Verwahrlosung vor, sondern auch, dass er das Erbe des Vaters nicht achtet, sein Grab nicht finanziert und sie vergisst. Sie schreibt Egon erneut. Darauf dann der zweite »Brief an die Mutter«, der Eingang finden könnte in alle psychoanalytischen Lehrbücher: »Liebe Mutter Schiele, wozu immer solche Briefe, die ohnehin in den Ofen kommen. Wenn Du etwas brauchst nächstens, so komme zu mir, ich komme nie mehr wieder. Egon«.
    1913 , das Jahr des Vatermords, war auch für die Mütter eine Herausforderung. Oder, wie es Georg Trakl in einem Brief an seinen Freund Erhard Buschbeck schreibt: »Schreibe mir, Lieber, ob meine Mutter sehr viel Kummer durch mich hat« (Trakl hatte, nicht schlecht, gerade das Armband des Vaters versetzt, um mit dem Geld seine Bordellbesuche zu bezahlen).
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    Gustav Klimt hingegen wohnt auch 1913 , also mit 51 Jahren, noch bei seiner Mutter. Nach dem Frühstück fährt er raus in die Feldmühlgasse 11 im 13 . Bezirk (Schieles Atelier ist nur vier Häuserblocks entfernt). Dort malt er und dort lebt er, mit Kreide hat er »G. K.« an die Tür geschrieben und: »Stark klopfen«. Überall liegen Skizzen auf dem Boden, an den Staffeleien stehen mehrere Leinwände. Wenn er morgens kommt, warten vor der Tür schon die Frauen, die sich danach sehnen, sich für ihn auszuziehen. Während er stumm vor seiner Leinwand steht, läuft ein halbes Dutzend nackter Frauen oder Mädchen umher, sie räkeln sich, faulenzen, warten, bis er sie ruft, mit einem kurzen Wink. Er trägt nichts unter seinem weiten Kittel. Damit er ihn schnell ausziehen kann, wenn ihn die Lust übermannt und eine Pose seiner Modelle doch zu verführerisch ist für den Mann im Maler. Aber pünktlich zum Abendessen ist er wieder zu Hause bei Mama oder er geht mit Emilie Flöge ins Theater. Als Klimt stirbt, melden sich 14 ehemalige Modelle mit Vaterschaftsanträgen.
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    Georg Trakl im Frühjahr 1913 , das ist ein Drama der ganz eigenen Art. Wie in Trance irrt er durch die Welt, nur halb geboren sei er, gesteht er einem Freund. Also versäuft er sein Geld, nimmt Veronal und andere Tabletten und Drogen, säuft wieder, rast umher, schreit wie ein Kind, liebt seine Schwester, hasst sich dafür und die Welt gleich mit. Er versucht, Apotheker zu sein. Das wird nichts. Er versucht, normal zu leben. Das wird natürlich auch nichts. Doch dazwischen: schreibt er schönste, schrecklichste Gedichte. Und Briefe wie diesen: »Ich sehne den Tag herbei, an dem die Seele in diesem armseligen, von Schwermut verpesteten Körper nicht mehr wird wohnen wollen und können, an dem sie diese Spottgestalt aus Kot und Fäulnis verlassen wird, die ein nur allzu getreues Spiegelbild eines gottlosen verfluchten Jahrhunderts ist.« Das ist ein Brief an Ludwig von Ficker, seinen Mäzen, Ersatzvater, ja Freund, wenn man so ein Wort in Bezug auf Trakl in den Mund nehmen darf. Sein Verleger auch, denn »Der Brenner«, dessen Zeitschrift, wird der erste Ort sein, wo Trakls ausweglose Litaneien erscheinen. Zwischen drei Orten irrt er ziellos und heillos umher in diesem Jahr; Salzburg ist die »vermorschte Stadt«, Innsbruck die »brutalste und gemeinste Stadt«, Wien schließlich »die Dreckstadt«. Österreich, ein Bermudadreieck der Abscheu. In

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