1913
und der Mode entsprechend anzuziehen. Da heißt es zu Kompromissen zu greifen und das, was die Natur versagt, durch geschickte, faltige Arrangements zu kaschieren.« Was die Natur versagt – Schlankheit gilt 1913 noch als eine Art Schicksalsschlag.
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In New York wird 1913 die Fed, die »Federal Reserve«, gegründet. Die wichtigsten Aktienbesitzer waren die Bankhäuser Rothschild, Lazard, Warburg, Lehmann, Rockefellers Chase Manhattan Bank und Goldman Sachs. Die Einführung der Fed sorgte dafür, dass die amerikanischen Regierungen kein neues Geld drucken konnten. 1913 wird daraufhin die Einkommenssteuer eingeführt.
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Hellsichtig erkennt Walther Rathenau die wirtschaftliche Herausforderung durch Amerika. Und so skizziert er 1913 , im Jahr des gegenseitigen Hochrüstens, das Bild einer friedlichen, wirtschaftlich eng verknüpften Europäischen Union: »Es bleibt eine letzte Möglichkeit: die Entstehung eines mitteleuropäischen Zollvereins. Die Aufgabe den Ländern unserer europäischen Zone die wirtschaftliche Freizügigkeit zu schaffen ist schwer, unlösbar ist sie nicht.«
In der »Cambridge Review«, Vol. 34, No. 853 , March 6 th, 1913 auf Seite 351 erscheint die erste Veröffentlichung des Studenten Ludwig Wittgenstein. Eine kritische Rezension über P. Coffeys »The Science of Logic«, aber eigentlich bereits das erste Manifest seiner eigenen neuen Logik. Was Coffey sagt, hält er für unlogisch. Auch gegenüber seinem Lehrer am Trinity College in Cambridge, dem legendären Bertrand Russell, wird der bald 24 -jährige Wiener Industriellensohn aufmüpfig. In den Semesterferien geht er mit seinem Geliebten, dem Mathematikstudenten David Pinsent, nach Norwegen, wo sie in Skjolden ein kleines Holzhaus gekauft hatten, und arbeitet an den Grundlagen seiner Theorie, die später als »Tractatus logico-philosophicus« zu den wichtigsten Schriften des Jahrhunderts zählen wird (es ist übrigens so komplex, dass selbst Russell, als er brieflich darum gebeten wird, Korrektur zu lesen, noch mal seine eigenen Fragen schicken lassen muss, um Wittgensteins Antworten zu verstehen). Nur Pinsent, der Freund, verstand Wittgenstein völlig. Als der zwei Jahre ältere Wittgenstein per Aushang im College eine Versuchsperson für seine psychologischen Experimente zum Rhythmus von Sprache und Musik suchte, da hatte sich Pinsent gemeldet. Er wurde dann sehr rasch auch zu seiner Versuchsperson für die Homosexualität und die Logik. Wittgenstein wird, logisch, Pinsent dann seinen »Tractatus« widmen.
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Frühlings Erwachen: Am 8 . März treffen sich im Wiener Café Imperial Frank Wedekind, Adolf Loos, Franz Werfel und Karl Kraus nach dem Aufstehen auf einen großen Braunen.
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Kafka leidet wie ein Hund unter dem Vater, kann es nicht ertragen, wenn er in der Prager Wohnung nebenan hustet oder die Tür zu laut schließt. Doch seinen »Brief an den Vater« den schreibt er noch nicht. Aber Egon Schiele, der 22 -jährige Wiener Maler, schreibt 1913 seine »Briefe an die Mutter«. Am 31 . März etwa: »Ich werde die Frucht sein die nach ihrer Verwesung noch ewige Lebewesen zurücklassen wird, also wie groß muß Deine Freude darob sein, mich gebracht zu haben?« Die Mutter sieht das etwas anders. Sie ist erzürnt darüber, dass das Grab ihres Mannes, Schieles Vaters, auf dem Tullner Friedhof verwildert, und schreibt ihm: »Das verwahrloste ärmste Grab birgt die Gebeine Deines Vaters, der für Dich Blut geschwitzt hätte. Wieviel Geld wirfst Du unnütz von Dir. Für alle und Alles hast Du Zeit, nur für deine arme Mutter nicht! Gott verzeih es Dir, ich kann es nicht.«
Schieles Vater Adolf war früh wahnsinnig geworden, der kleine Egon musste immer für eine unbekannte Person mitdecken am Tisch, kurz vor seinem Tod verbrannte der Vater alles Geld und alle Aktien, seitdem war die Familie sehr arm. Seltsam eng war das Verhältnis von Egon zu seinen Schwestern Melanie und Gerti, immer wieder zeichnet er sie nackt, mit gynäkologischer Genauigkeit interessiert er sich für ihre in der Pubertät erwachenden Körper. Mit Gerti unternimmt er als Jugendlicher gemeinsame Reisen, ohne die Mutter, die Bilder aus ihrer Beziehung wirken wie die Illustrationen zu der gleichzeitigen fatalen Liebe von Georg Trakl zu seiner Schwester.
Gerti kommt dann mit Egons Freund Anton Peschka zusammen, was Schiele lange rasend eifersüchtig macht, irgendwann aber gibt er der Beziehung seinen Segen, als er selbst Wally kennenlernt, jene
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