1913
abgeschlossen hat, wodurch er das erste Mal richtiges Geld verdient (und seiner Eva viele hübsche Blusen kaufen kann). Und er schreibt an Gertrude Stein, die Salondame und große Sammlerin, die im Hintergrund mit dafür gesorgt hat, dass zahlreiche Picassos im Februar auf der Armory-Show gezeigt wurden. Die Postkarte an Gertrude Stein, die gerade ihren Bruder Leo aus der gemeinsamen Wohnung hinauswerfen will und nun mit ihrer Freundin Alice Toklas zusammenlebt, zeigt drei katalanische Bauern – den mit dem Bart nennt Picasso mit einem handschriftlichen Zusatz »Bildnis Matisse«.
Doch bald schon verlässt Picasso die gute Laune, denn seinem Vater geht es gesundheitlich immer schlechter; er eilt nach Barcelona, um sich dann in Céret wieder im Atelier einzugraben. Er freut sich, als sein schlampiger Freund Max Jakob aus Paris kommt. Der schreibt nach Paris: »Ich möchte mein Leben ändern, ich fahre nach Céret, um einige Monate bei Picasso zu verbringen.« Doch da der Maler meist im Atelier sitzt und verbissen an neuen Möglichkeiten für die papiers collés arbeitet, die Collagen des synthetischen Kubismus, verbringt Max Jakob die Zeit vor allem mit Eva. Da es die ganze Zeit regnet, sitzen sie drinnen und schlürfen Kakao und warten, bis der Meister sein Tagwerk vollendet hat. Abends trinken sie zusammen Wein, nachts ist die feuchte Luft erfüllt von Fröschen und Kröten und Nachtigallen.
Doch Picasso ist in Gedanken nur bei seinem kranken Vater, seinem Übervater, der ihm das Zeichnen beigebracht hat und den er liebt und den er hasst. Als er 16 war, hatte er gesagt: »In der Kunst muss man seinen Vater töten.« Nun ist es soweit. Don José stirbt, und Picasso ist gelähmt vor Schmerz. Doch damit nicht genug: In diesem Frühjahr in Céret erkrankt Eva schwer, sie hat Krebs. Und als dann auch noch sein größter Tröster krank wird, ist es um Picasso vollends geschehen: Frika, seine geliebte Hündin, um deren Schicksal er sich seit Jahren so aufmerksam bemüht hat wie um das seiner Frauen (manchmal sogar etwas aufmerksamer), liegt im Sterben. Seit Picassos ersten Tagen in Paris war Frika, diese kuriose Mischung aus deutschem Schäferhund und bretonischem Spaniel, immer an seiner Seite gewesen, hatte schon viele Frauen und blaue und rosa und kubistische Perioden erlebt. Am 14 . Mai schreibt Eva an Gertrude Stein: »Frika ist nicht mehr zu retten.« Ein Tierarzt kann nicht mehr helfen, also bittet Picasso in Céret den örtlichen Jagdaufseher, Frika den Gnadenschuss zu geben. Bis zu seinem Lebensende vergisst Picasso nicht den Namen des Schützen, »El Ruquetó« – und auch nicht, wie sehr er in diesen Tagen geweint hat. Vater tot, Hund tot, Geliebte todkrank, draußen Dauerregen. Picasso ist in Céret im Frühjahr 1913 in seiner größten seelischen Krise.
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Am 22 . März erhält Dr. med. Gottfried Benn seine erlösende Nachricht: »Dr. Benn, Assistenzarzt beim Infanterie-Regiment Generalfeldmarschall Prinz Friedrich Karl von Preußen Nr. 64, wird auf sein Gesuch um Verabschiedung zu den Sanitätsoffizieren der Landwehr 1 Aufgebots überführt.« Im Laufe des Jahres wechselt er vom pathologisch-anatomischen Institut des Krankenhauses Westend zum Städtischen Krankenhaus Charlottenburg.
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Am 29 . März hält Karl Kraus in München im Vierjahreszeiten-Saal einen Vortrag. Unter den Gästen Heinrich Mann. Freundlicher Applaus.
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Am 4 . März gibt es ein großes Diner in der deutschen Botschaft in London. Dort ist natürlich auch Harry Graf Kessler, jener deutsche Snob im weißen, dreiteiligen Anzug, dessen Adressbuch zehntausend Einträge hat, Freund von Henry van de Velde, Edvard Munch und Maillol, der die Cranach-Presse in Weimar begründet hat und wegen zu freizügiger Aquarelle Rodins dort seinen Posten als Museumsdirektor räumen musste. Jener Graf Kessler, der zwischen Berlin, Paris, Weimar, Brüssel, London und München pendelt, als einer der großen Katalysatoren der modernen Kunst und des Jugendstils. Durch ihn lernen wir die englische Königin ein wenig besser kennen. Gerade hatte er bei diesem Empfang dem deutschen Botschafter Karl Max Fürst von Lichnowsky (dessen kunstsinnige, Picassos sammelnde Frau ihn mochte) Bernard Shaw vorgestellt. Nun revanchiert sich diese beim Diner: Kessler wird der englischen Königin vorgestellt. »Diese sah in Silberbrokat mit einer Krone aus Diamanten und großen Türkisen verhältnismäßig gut aus.« Ansonsten war es sehr anstrengend: »Ich konnte
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