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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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sein gesamtes Hab und Gut. Dann nimmt er seine Frau Helene und reist am 21 . März 1913 nach Afrika. In Französisch-Äquatorialafrika am Ogooué gründet er das Urwaldhospital Lambarene.
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    Auch Ernst Jünger träumt von Afrika. Unter der Schulbank in der Realschule liest er permanent afrikanische Reisebeschreibungen. Das »tödliche Gift der Langeweile drang immer stärker in mich ein« – so steht es für ihn fest, dass er die Geheimnisse Afrikas suchen müsse, die »verlorenen Gärten«, irgendwo im oberen Stromgeflecht des Nil oder des Kongo. Afrika, das ist für ihn der Inbegriff des Wilden und Ursprünglichen. Da musste er hin. Nur wie? Warten wir ab.
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    Es ist Ende März. Marcel Proust zieht sich den Pelz über sein Nachthemd und geht mitten in der Nacht noch einmal auf die Straße. Dann betrachtet er volle zwei Stunden lang andächtig das Sankt-Annen-Portal von Notre Dame. Am nächsten Morgen schreibt er an Madame Strauss: An diesem Portal sei »seit acht Jahrhunderten eine sehr viel reizvollere Menschheit versammelt als diejenige, mit der wir verkehren«. Das also nennt man seitdem konsequenterweise: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
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    Karl Valentin dreht seine ersten drei Stummfilme. »Die lustigen Vagabunden«, »Der neue Schreibtisch« und »Karl Valentins Hochzeit«. 1913 steht er auch das erste Mal mit einer neuen Partnerin auf der Bühne: Liesl Karlstadt.

APRIL
    Hitler feiert am 20 . April seinen 24 . Geburtstag in dem Wiener Männerwohnheim in der Meldemannstraße. Thomas Mann denkt nach über den »Zauberberg«, seine Frau ist schon wieder zur Kur. Lyonel Feininger entdeckt die winzige Dorfkirche in Gelmeroda und macht sie zur Kathedrale des Expressionismus. Franz Kafka meldet sich zum freiwilligen Arbeitsdienst beim Gemüsebauern und jätet nachmittags Unkraut, um seinen »Burn-Out« zu therapieren. Bernhard Kellermann schreibt den Bestseller des Jahres: »Der Tunnel«, ein Science-Fiction-Roman über die unterirdische Verbindung zwischen Amerika und Europa. Frank Wedekinds »Lulu« wird verboten. Oskar Kokoschka kauft eine Leinwand genauso groß wie das Bett seiner Geliebten Alma Mahler und beginnt darauf mit seinem Liebespaarbildnis. Wenn es ein Meisterwerk wird, will Alma ihn heiraten. Aber nur dann.

    Wie lange hält »Die Brücke«? Seit die Künstler Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Otto Mueller und Emil Nolde aus Dresden nach Berlin gezogen sind, fliegen immer öfter die Fetzen, es gibt »Weibergeschichten und Intrigen«, wie Kirchner schrieb, und 1912 war bereits Max Pechstein aus der Gruppe ausgetreten. Jeder versucht, sich auf eigene Faust künstlerisch und finanziell durchzuschlagen, alle hausen in Berliner Dachkammern, die Stile entwickeln sich auseinander, die Künstler auch. In ihren Ateliers stapeln sich die unverkauften Werke, doch sie malen tapfer weiter.
    Wie ein Liebespaar in der Krise versuchen auch die Brücke-Maler sich der paradiesischen Unschuld und der archaischen Kraft ihres gemeinsamen Anfangs zu erinnern. Sie planen die Herausgabe einer Chronik der »Brücke«. Sie sollte originale Holzschnitte enthalten und Fotografien der Gemälde, Kirchner, der wendige, egozentrische Wortführer soll den Text dazu verfassen. Im April 1913 arbeitet Kirchner fieberhaft an diesem Text, der ein Manifest werden soll, wenn ihm seine Unruhe, seine Drogen, seine Frauen, seine Skizzenblöcke, dieses verfluchte Berlin endlich ein paar Minuten Zeit dafür lassen.
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    »Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten«. Dieses Schiller-Zitat aus dem Wilhelm Tell prangt in großen Lettern im »Drogisten-Taschen-Kalender für das Jahr 1913 «. Steht eine Revolution bevor? Ahnen etwa die deutschen Drogisten etwas von einer kommenden Katastrophe?
    Nein. Es gibt nur neue, hübsche Etiketten für Salben und Hustensäfte. Oder, wie es in der Anzeige weiter heißt: »Die in unserem Verlag erschienenen neuen Etiketten u.s.w. wurden durchweg von berufenen Künstlern entworfen und gelten in geschmacklicher Hinsicht als vorbildlich und unerreicht. Sie übertreffen alles bisher Gebotene.«
    Das ist mal Werbung ohne jede falsche Bescheidenheit. Der Name der Firma ist leider nicht ganz so eingängig und übertrifft nicht alles bisher Gebotene: »Etiketten-Druckerei und Verlag für die chem.-pharm., Apotheker-, Drogisten- und verwandte Branchen, Barmen.«
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    Colonel Mervyn O’Gorman, der Leiter der britischen »Royal Aircraft Company«, treibt 1913 zwei

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