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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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schwach daran erinnern, bei seinem Eintreffen mit Thgáan ein paar flüchtende Vögel gesehen zu haben. Allerdings hatte er an jenem Tag Wichtigeres zu tun gehabt, als dem Beachtung zu schenken.
    Nun stand er da, eng an den Stamm gedrückt, und erwartete das Unausweichliche. Rauschender Flügelschlag erfüllte die Luft, als etwa fünfzig Vögel heranflatterten. Die breit gefächerte Baumkrone hätte doppelt so viele aufnehmen können, doch offenbar wollten sie alle nur die besten Plätze.
    Kreischend gingen die Kukka’bus aufeinander los. Sie hatten imposante Schnäbel, und deren Einsatz blieb nicht ohne Wirkung. Federn, Blätter und zerfetzte Zweige segelten auf Grao’sil’aana herab. Er nahm es ohne Abwehrbewegungen hin, weil er das Risiko vermeiden wollte, gesehen zu werden. Es war nicht die eigene Sicherheit, die den Daa’muren antrieb: sollten die Mandori ihn entdecken, würden sie vermutlich auch den Platz unter der Schirmakazie näher untersuchen. Und das durfte nicht geschehen.
    (Grao! Du wolltest mir doch erzählen, wie ich entstanden bin), meldete sich Daa’tan mental zu Wort.
    (Stimmt. Wir wurden vorhin unterbrochen. Also, wo war ich stehen geblieben?) Grao’sil’aana versuchte sich zu konzentrieren, was nicht leicht war bei dem Lärm und dem Geflatter. Erschwerend kam hinzu, dass sich Kukka’bus nicht wie andere Vogelarten verständigten. Wenn sie etwas zu sagen hatten – und sie hatten sich viel zu sagen! – brachen sie in frenetisches Gelächter aus. Huu-haa-haa-haaaa ging es unentwegt. Der Daa’mure begann zu erzählen. (Du weißt, dass wir lange Zeit mit Primärrassenvertretern und der Fauna experimentiert haben. Wir wollten herausfinden, ob sich aus dem vorhandenen Material ein passender Wirtskörper züchten ließ. Doch außer zum Teil grotesken Mutationen kam nichts dabei heraus. Dann haben wir damit begonnen, auch Pflanzen in unsere Versuche einzubeziehen. Ziel war es, einen genetischen Homunkulus aus eigentlich inkompatibler Erbmasse zu erzeugen.)
    (Einen genetischen – was?), fiel ihm Daa’tan ins Wort.
    (Homunkulus. Der Ausdruck entstammt dem Geistesinhalt von Jeecob’smeis, der uns half, die Primärrassenvertreter und ihre Praktiken zu verstehen. Hör mal, Junge: es ist schon spät.
    Thgáan wird bald ins Tal kommen, wie jeden Abend, um mich abzuholen. Mein Wirtskörper braucht Nahrung und Wasser.
    Sollen wir morgen fortfahren?)
    (Nein! Ich will jetzt wissen, wer ich bin. Und nenn mich nicht Junge !)
    Der Daa’mure hörte kaum zu. Ein Kukka’bu war flatternd auf seiner Schulter gelandet, tippelte näher heran und legte den Kopf schief. Er musterte Grao’sil’aana einen Moment.
    Grao’sil’aana presste die echsenhaften Lippen aufeinander und ballte die Pranken zu Fäusten. Den Vogel zu verscheuchen wäre ein nutzloser Kraftaufwand gewesen, denn er stellte keine Gefahr dar. Aber Daa’muren manifestierten ihren Zorn nicht als geballte Faust, als Zähneknirschen oder das tief empfundene Bedürfnis, einem Kukka’bu den Hals umzudrehen. Sie kannten nicht einmal das Prinzip Zorn ! Was war nur los mit ihm?
    Verunsichert setzte Grao’sil’aana seinen Bericht fort. Er erklärte Daa’tan die komplizierten Verfahren gentechnischer Manipulation, sprach über die Entschlüsselung von Pflanzen-DNA, über erste Erfolge und Fehlschläge, und kam am Ende des eher langweiligen Vortrags auf die rätselhafteste aller Züchtungen zu sprechen: Daa’tans zweitem Vater.
    (Diese Testreihe war im Grunde ein Fehlschlag), sagte er.
    (Die Gewächsmutanten entwickelten zwar eine Form von Intelligenz, bündelten diese aber nicht an einem Ort wie dem menschlichen Gehirn und entglitten so unserer Kontrolle. Wir glaubten den gesamten Bestand vernichtet zu haben und waren daher überrascht, als wir die genetische Signatur eines Tages am Rand des Kratersees aufspürten – im Körper einer Barbarin; deiner Mutter!)
    (Wie kam sie mit ihm zusammen?)
    (Kann ich dir nicht sagen.) Grao’sil’aana beugte sich zur Seite und blickte hinüber zu den Schildkrötentoren. Sie waren geschlossen. Die Mandori hatten sich in ihre Höhlen verzogen.
    (Sie muss ihm zufällig begegnet sein. (siehe MADDRAX »Quell der Träume«) Uns liegen keine Informationen vor. Wir wissen nur, dass sie mit dir schwanger war – und dass diese Schwangerschaft eine Signatur abstrahlte, die auf unsere Experimente hindeutete.)
    Mentale Rufe erschollen, und im verblassenden Abendrot zwischen den Berggipfeln erschien ein mächtiger Umriss.

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