192 - Nah und doch so fern
den tiefer liegenden Schlafkammern. Bienentänzer und der Schamane halfen Yangingoo auf die Beine. Niemand sprach.
Wumm.
Punta stand ahnungsvolle Angst ins Gesicht geschrieben, als er seinen Vater überholte.
»Was ist das, Nirra-mang?«, wisperte er.
»Na, was schon?«, wisperte der Mandori zurück. »Das ist der schreckliche Owomba!«
***
Grao’sil’aana verpasste die Bestie an jenem Abend. Er hatte sich nach dem Essen eine Auszeit genommen, um an den Ufern des Schildkrötenflusses in Ruhe über seine Probleme nachzudenken.
Seither waren einige Tage vergangen. Am Ergebnis hatte sich nichts geändert: Grao’sil’aana wusste nicht mehr, wer er war.
(Vielleicht bin ich nur extrem anpassungsfähig), überlegte er. (Wenn ich die Fakten betrachte, was verraten sie mir?
Meine Sprechweise hat sich verändert! Aber das würde jedem widerfahren, der über einen längeren Zeitraum mit Daa’tan zusammen ist. Nun, dem Sol vielleicht nicht.) Grao’sil’aana seufzte.
Der Daa’mure saß in der prallen Nachmittagssonne, ein Stück von der Schirmakazie entfernt an einen Felsen gelehnt.
Hitze war das einzig Positive, das dieser Ort zu bieten hatte.
Ansonsten war das Wellowin ein Fluch! Hunger, Durst, kreischende Vögel und das Versteckspiel vor den Mandori bestimmten Grao’sil’aanas Alltag.
Besonders die Nachwachsenden waren eine Plage!
Eigentlich sollten sie auf den Feldern sein und den Kohl bewässern. Aber immer wieder kam es vor, dass sich ein paar dieser hellhäutigen Bengel davon schlichen, um zu jagen. Auf den Felsen hier sonnten sich flinke Eidechsen, und unweit der Schirmakazie hauste eine merkwürdige Pelztiersippe. Sie erinnerte an Hasen, nur waren die Ohren kürzer, und sie katapultierten sich in weiten Sprüngen auf enorm großen Hinterfüßen durch die Gegend.
Grao’sil’aanas Miene verdüsterte sich, als sein Blick auf die Stelle fiel, an der Daa’tan in seinem Blätterkokon lag. Seit ihrer Unterhaltung über den Pflanzengott hatte er kein Wort mehr gesagt. Es ging ihm gut, wie Grao’sil’aana aus seinen mentalen Schwingungen erfahren hatte. Er schmollte nur. Aber warum, das behielt Daa’tan für sich.
(Er lernt bereits, seine Gedanken vor mir abzuschirmen. Ein gutes Zeichen), dachte der Daa’mure. (Offenbar bringt der Wachstumsschub die gewünschten Veränderungen hervor.
Vielleicht endet jetzt auch Daa’tans emotionsgesteuertes Verhalten! Sobald er die daa’murische Denkweise annimmt, wird meinen eigenen Problemen der Nährboden entzogen. Sie lösen sich auf, und alles ist wieder im Lot.) Grao’sil’aana gab sich große Mühe, seine Persönlichkeitskrise an Daa’tan festzumachen. Doch er wusste insgeheim, dass es nicht stimmte. Zum Beispiel die Sache auf Java: Piraten hatten ihn vergiftet, um Daa’tan allein in den Tempel locken zu können. (siehe MADDRAX 176) Grao’sil’aana wäre fast gestorben, so sehr hatte ihm die toxische Wirkung der Speisen zugesetzt. Doch wie konnte das sein? Der Stoffwechsel seines Echsenkörpers unterschied sich von dem der Primärrassenvertreter. Was Menschen umbrachte, überwanden Daa’muren im Allgemeinen ohne besondere Mühe.
War sein Kollaps auf dem Piratenschiff das erste Anzeichen einer psychosomatischen Störung gewesen? Veränderte sich der Wirtskörper? Passte er sich etwa Grao’sil’aanas schleichend entstandener Gefühlswelt an – oder war er gar der Grund dafür?
(Ich muss es aufhalten), dachte er. Die Sache wäre ja noch irgendwie hinnehmbar gewesen, hätte sich da nicht die Frage gestellt, wie die anderen Daa’muren auf ihn reagieren würden.
Grao’sil’aana würde zum Kratersee zurückkehren müssen, jetzt, da Thgáan ihn aufgespürt hatte. Wie würde man ihn dort empfangen, wenn er sich von Emotionen verseucht präsentierte?
(Unverständnis, Ächtung… Tod?) Grao’sil’aana sprang auf, als er Stimmen hörte, eilte hinüber in die Deckung der Schirmakazie und zog sich ins Geäst hinauf. Zwei junge Mandori liefen Händchen haltend heran und kicherten albern.
Er kannte die beiden inzwischen. Sie kamen seit Tagen hierher, um sich zu beturteln und Grao’sil’aana auf die Nerven zu gehen: der Junge Taranay und das Mädchen Biradoo, beide noch Halbwüchsige. Sie kannten ihn ebenfalls, nur wussten sie das nicht mehr, weil er die Erinnerung aus ihrem Bewusstsein gelöscht hatte.
»Ich weiß gar nicht, warum ich eigentlich jeden Tag mit dir herkomme«, seufzte Biradoo betont gelangweilt.
Taranay grinste. »Ich habe dir
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