1931 - TraumdÀmmerung
fortzufahren.
„Du lügst, Pezzo-Orr", sagte ihm Tifflor auf den Kopf zu. „Es ist doch augenscheinlich, daß die INTURA-TAR sich von allen anderen Generationenschiffen der Rawwen unterscheidet. Sie ist wesentlich kürzer und wirkt wie abgeschnitten. Gerade so, als würde ihr das Heck fehlen. Was ist daraus geworden?"
„Es gibt viele Lieder, die die Geschichte unseres Lebensschiffes besingen", sagte Pezzo-Orr gepreßt, den Blick starr ins Nichts gerichtet. „Aber keine, die irgend etwas darüber aussagen, daß die INTURA-TAR einst ein längeres Heck gehabt hätte. Wenn es so gewesen sein sollte, dann gibt es keine Gesänge darüber."
Wieder blickte Tifflor zu Gucky. Der Mausbiber gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß der Yamma-Hüter log.
„Hm", machte Tifflor. „Vielleicht sollte ich die Frage anders formulieren: Gibt es Gesänge oder Aufzeichnungen aus der Zeit, als Guu’Nevever Passagier auf der INTURA-TAR war?"
„Diesen Namen kenne ich nicht", behauptete Pezzo-Orr. „Er steht in keinerlei Zusammenhang mit unserem Lebensschiff ..."
„Jetzt reicht’s!" schaltete sich Gucky ein und stellte sich vor Julian Tifflor. „Wir haben uns deine Lügen lange genug angehört, Pezzo-Orr. Es wird Zeit, daß du endlich mit der Wahrheit herausrückst."
„Ich sage die Wahrheit", beteuerte Pezzo-Orr. „Ich kenne keine Gesänge, die über einen Guu’Nevever berichten. Oder über eine Zeit, in der die INTURA-TAR ein verlängertes Heck gehabt hätte."
„So formuliert, sagst du tatsächlich die Wahrheit, Pezzo-Orr", sagte Gucky wissend. „Aber es muß Gesänge geben, die du nicht kennst. Du hast es bisher nur vermieden, sie dir anzuhören. Du verdrängst ihre Existenz. Warum? Was verheimlichst du uns?"
„Es gibt nichts zu verheimlichen." Die Stimme des Rawwen klang dennoch unsicher.
„Soll ich dich vielleicht meinem Freund Icho Tolot überlassen, damit er deinem Gedächtnis nachhilft?"
„Nein! Bitte nicht!" Blankes Entsetzen sprach aus dem Echsengesicht des Rawwen. „Ich kann euch wirklich nicht weiterhelfen. Ich ... ich ..."
„Warum also tust du so, als würde es die Gesänge über diese Epoche nicht geben?"
„Sie sind tabu", wich Pezzo-Orr aus.
„Und warum sind sie tabu?"
„Sie behandeln eine düstere Epoche unserer Geschichte", gestand Pezzo-Orr. „Ich kenne ihren Inhalt nicht und weiß nicht, worum es geht. Aber es muß Gründe geben, warum sie verboten sind."
„Ich weiß alles, Pezzo-Orr", sagte Gucky. „Du kannst mir nichts verheimlichen. Wir müssen jedoch erfahren, um was es in den Verbotenen Gesängen geht."
„Niemand darf daran rühren", beharrte Pezzo-Orr verzweifelt. „Die Verbotenen Gesänge stehen unter Verschluß."
„Das darf nicht für uns gelten, Pezzo-Orr", sagte Gucky. „Wir brauchen eine Ausnahmeregelung. Wir müssen diese Aufzeichnungen einsehen - oder abhören - ,denn davon kann der Fortbestand von Puydor abhängen."
Pezzo-Orr schüttelte die ganze Zeit über seinen Echsenschädel. Er wirkte ehrlich verzweifelt, und aus seinen Gedanken las Gucky, daß er lieber sterben würde, als Schande über seine Sippe zu bringen, indem er heilige Verbote mißachtete.
Der Rawwe unternahm einen letzten Verzweiflungsversuch, die Verbotenen Gesänge vor dem Zugriff der Galaktiker zu schützen.
„Selbst wenn ihr die Verbotenen Gesänge hören könntet, so würdet ihr ihren Inhalt nicht verstehen.
Denn sie sind in der Ritualsprache abgefaßt."
„Da ist was Wahres dran", müßte Gucky zustimmen.
Er kannte inzwischen die geschraubten Formulierungen der Ritualsprache. Selbst wenn ihre Translatoren ausreichend damit gespeist waren, daß sie die Verballhornungen und Kürzel des Kunios in Interkosmo übersetzen konnten, würde ihnen der Sinn des Gehörten wohl zum Teil verborgen bleiben.
Pezzo-Orr hatte die Wahrheit gesagt. Doch er verfolgte gleichzeitig einen Gedankengang, der Gucky wieder Hoffnung gab.
„Es gibt doch Interpreter, die die Ritualsprache in Klartext übersetzen können, nicht wahr, Pezzo-Orr?"
fragte Gucky.
„Wie?" fragte der Yamma-Hüter verblüfft.
„Komm schon, Pezzo-Orr!" sagte .Gucky kumpelhaft. „Ich habe mich auf der INTURA-TAR ausreichend umgesehen, um über alle Gepflogenheiten an Bord informiert zu sein. Du kannst mir nichts verheimlichen. Ich weiß, daß es einen Interpreter gibt, eine Nebenstelle der Hauptpositronik, der die alten Gesänge in auch für uns verständliches Kunios überträgt."
Pezzo-Orr starrte den Mausbiber mit offener
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