1944 - Haß gegen Alashan
Abwesenheit nicht entschuldigt zu haben, schon wieder nicht erschienen zu sein und es nicht für nötig zu befinden, mal anzurufen.
Tess wartete, bis er Dampf abgelassen hatte. Dann sagte sie: „Tut mir leid."
Tore blieb für einen Moment die Luft weg. „Was? Das ... das ist alles? Mehr hast du nicht zu sagen?"
Tess hob die Schultern. „Mir fällt keine Ausrede ein."
„Und wie wär’s mit der Wahrheit?"
„Ich konnte nicht. Es ging einfach nicht, Tore. Kann ich ... kann ich bitte ein paar Tage frei haben?"
Jetzt schnappte ihr Chef nach Luft. „Du hast eine merkwürdige Art, Anträge zu stellen, Mädchen! Du weißt genau, daß wir wichtige Dinge zu erledigen haben!"
Tess machte ein schuldbewußtes Gesicht. „Ich weiß. Ich habe bald Prüfung, und irgendwie komme ich hinter allem nicht mehr hinterher. Ich habe in der letzten Zeit ein paar Extra-Schichten geschoben. Das war zuviel, glaube ich."
Tore legte die Stirn in Falten. „Hm. Ja. Kann sein", brummte er. „Bist ja ein junges Ding. Ist auch nicht einfach, sich plötzlich allein durchs Leben schlagen zu müssen, wie? Bin schließlich kein Unmensch, ich weiß das doch. Red halt mit mir, hm?"
„Tut mir wirklich leid, Tore. Du kannst es mir ja abziehen."
„Darum geht’s doch gar nicht!" polterte er sofort wieder los. „Aber gut, darüber reden wir das nächste Mal. Hast ja noch eine Menge zu lernen, Kind." Er durfte das sagen. Er war fast hundert Jahre älter als sie. „Ich gebe dir also frei, bis du deine Zwischenprüfung abgelegt hast, in Ordnung? Danach meldest du dich aber sofort wieder pünktlich zum Dienst, verstanden?"
„Verstanden", strahlte Tess erleichtert.
- Wenigstens ein Problem weniger. Kurz darauf war sie unterwegs zu dem Platz, an dem sie gestern gescheitert war.
Sie hatte den Platz gestern das erste Mal betreten und hatte nachschauen müssen, wie er hieß. Douc Langur, nach der drei Meter hohen Statue des merkwürdigen Wesens. Irgendwie schien es Tess der richtige Ort zu sein, um Geheimnisse zu suchen. Die Gedankenimpulse der Menschen hatten sie eindeutig hierhergeführt.
Das Seltsame war nur, daß sie weiterhin keinen Impuls des Hasses mehr empfangen konnte. Seit dem ersten Mal, als. sie ohnmächtig geworden war, hatte sich dieser Impuls nicht wiederholt. War demjenigen etwas zugestoßen? Machte sie sich ganz umsonst Sorgen?
Langsam ging Tess über den Platz und konzentrierte sich auf ihre telepathischen Fähigkeiten. Im Augenblick herrschte kaum Verkehr, nur vor und in den Geschäften hielten sieh vereinzelt Menschen auf.
In diesem Moment kam ihr jemand von der anderen Seite entgegen. Ein junger Mann, der direkt auf sie zuhielt und sie eindringlich ansah - mit einer seltsam frohen Miene, als ginge es um ein Wiedersehen. Er war wohl in ihrem Alter, lang und schlaksig, um etwa sieben Zentimeter größer als sie, mit weißer Haut, langen weißen Haaren und sehr hell schimmernden Augen.
Tess blieb stehen. Der junge Mann näherte sich ihr bis auf zwei Meter, bevor er ebenfalls verharrte.
„Bin ich froh, dich endlich zu finden", sagte er ohne Begrüßung.
Einen Moment sahen sie sich nur an, von der ersten Sekunde an auf seltsame Weise voneinander fasziniert.
„Du bist ein Arkonide, nicht wahr?" begann Tess schließlich die Konversation.
„Ja, und du ... du bist sehr hübsch", platzte es ihm heraus.
„Danke. Wie ... hm ... hast du mich denn gefunden?"
Er deutete auf ihre Augen. „Ich habe hindurchgesehen."
Tess schwieg. Sie schloß die Lider halb und konzentrierte sich auf die Gedanken des jungen Mannes.
Aber sie konnte seine Gedanken nicht lesen, so sehr sie sich auch anstrengte.
Leise fragte sie: „Bist du so wie ich?"
Der Arkonide schüttelte den Kopf. „Nur ähnlich, Tess."
„Aber du kennst meinen Namen. Ich kenne deinen nicht."
„Entschuldige. Ich bin Benjameen von Jacinta. Ich lernte dich kennen, während ich schlief. Ich sah dich durch deine Augen im Spiegel."
Tess lachte. „Hoffentlich hatte ich etwas an!" scherzte sie.
Benjameens albinotisch weiße Haut nahm eine rote Tönung an. „Es war nur ganz kurz", sagte er verlegen.
„Oh", machte sie, nun gleichfalls verlegen.
Einige Sekunden schwiegen sie wieder, reglos voreinander stehend. Beide waren verwirrt, fanden die Situation jedoch nicht peinlich.
Schließlich fragte Tess: „Hast du meine Gedanken gelesen?"
Benjameen schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich kann nur Kontakt aufnehmen, wenn ich schlafe.
Aber du kannst es, nicht
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