1948 - Roman
Anhöhe gänzlich erobert und uns und unsere Anführer allesamt umgebracht hatten, fingen sie schon an, die Leichen zu schänden. Nicht alle waren ganz tot, und so begannen sie, unsere blutenden Verwundeten mit Messern abzuschlachten. Und wir rannten abwärts, ohne innezuhalten, wollten auf die Mörder schießen, konnten es aber nicht. Auch den anderen war die Munition ausgegangen, und wir erreichten das Scheichgrab unten an der Straße nach Jerusalem, und auch aus Colonia, jenseits des Tals, schossen sie auf uns – und dann plötzlich sahen wir sie alle innehalten. Große Stille. Sie standen vor den Leichen, die sie misshandelt hatten, und fingen an zu heulen. Standen vor der Reihe der Toten und schrien und wiegten sich wie besoffene Tänzer, und statt den Berg zu erobern, den sie schon in ihrer Gewalt hatten, verfielen sie plötzlich in furchtbare Trauer. Wir begriffen nicht, was sie hatten. Wir sahen unsere Verteidiger, mit Dolchen erstochen, auf der Erde verbluten, und die siegreichen Araber liefen zwischen den Leichen davon.
Wir waren schon runter von der leeren Anhöhe, hatten keine Ahnung, was wir machen sollten, unsere Augen tränten von dem Feuer, wir robbten davon, erreichten schließlich Kirjat Anavim, und einer der Befehlshaber dort blickte auf die Papiere, die einer von uns dem Valentino mit der prächtigen Kefiya und dem golddurchwirkten Akal aus der Tasche gezogen hatte, und sagte, Himmel, das ist ja Abdel-Kader al-Husseini. Der elegante Mann war schon in den dreißiger Jahren der legendäre Anführer der arabischen Truppen in der Gegend gewesen und darüber hinaus auch noch ein Cousin des Muftis von Jerusalem. Statt also den Berg zu erobern, den sie schonin Händen hatten, waren sie in ihrem großen Schmerz über den Tod ihres Befehlshabers nach Jerusalem zurückgekehrt, um ihm mit Tausenden anderen das Geleit zum königlichen Begräbnis zu geben.
Vielleicht hat sich in diesem Moment, als wir um ein Haar umgekommen wären und den wichtigsten Befestigungsposten an der Straße nach Jerusalem verloren hätten, in dem Gefecht, das Benny Marshak den »Krieg um die sechs Meter Straße zur Stadt« nannte, das Kriegsglück gewendet. Wir begriffen, dass man ein erobertes Dorf von strategischem Wert nicht einfach so wieder verlässt. Deshalb erstiegen die Kumpels von unserem Bataillon schnell die Anhöhe und sprengten einige der Häuser. Nun blieb nur noch Colonia, das schönste und grausamste der palästinensischen Dörfer, das sieben Serpentinen der Straße beherrschte, in denen wir viele Kampfsoldaten und Konvoi-Begleiter verloren hatten. Ohne groß nachzudenken, wurde beschlossen, einen Zug zur Bewachung von Kastel dazulassen. Das war, nach unserem komischen Sieg in Caesarea, das zweite Dorf, das im Krieg erobert wurde und künftig uns gehörte.
7
Einige Zeit später saß ich an einem Brunnen in irgendeinem arabischen Dorf. Vielleicht in Zurif. Ich weiß es nicht mehr. Ich trank kühles Wasser aus einem Tonkrug und aß Sauerklee, und der Anblick der gemetzelten Leichen ging mir nicht aus dem Sinn. Warum waren sie gekommen?, dachte ich. Dreiundzwanzig der besten Leute waren heraufgezogen, um wie viele zu retten? Sechs, sieben, vielleicht acht. Wer wird jemals verstehen, was sich tatsächlich dort abgespielt hat, in jenem finsteren Tal, und ich dachte – ich erinnere mich, dass ich plötzlich nachdachte, vielleicht das erste oder zweite Mal in dem ganzen Krieg –, warum sind dreiundzwanzig Männer gekommen, um sechs zu schützen, warum dreiundzwanzig der Besten, die besser waren als ich im Gründen von Staaten, besser als all meine Pinkelbrüder, denn wer waren wir schon? Hatten wir eine Zukunft? Jene Toten hätten eine Zukunft gehabt. Sie hätten Geiger, Maler, Wissenschaftler, Feldherren werden können. Wer von uns würde etwas werden in der Zukunft, die diesen Toten schon genommen war?
Dreiundzwanzig Mann, jeder einzelne eine Legende, Männer, die sich bewiesen hatten, und allen voran Nachum Arieli, imponierend, er sang schön, sah gut aus, und er war gekommen, um mich zu decken – der edle Recke kam, um den beschissenen Clown zu retten, der ich damals war. Und ich dachte mir, was wird morgen, übermorgenwerden, man wird es als Hebel benutzen, wird sagen, seht mal, wie die Palmach ihre Leute verteidigt. Heute weiß ich, dass bei diesem Einsatz das legendäre »mir nach« geboren wurde, das »mir nach«, das die Besten das Leben kostete. Zahlt sich das aus? Ist es klug? Musste jemand, der klüger
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