1955 - Kampf um Thagarum
„Es hilft mir ein wenig. Die Hölle in meinem Bewußtsein kann es jedoch nicht lindern."
„Kannst du irgendwelche Stimmen verstehen?" fragte der Arzt. „Was sagen sie?"
„Alles ist unverständlich. Es sind laute Worte ohne Inhalt. Und Geräusche. Ein Geräuschpegel wie aus tausend riesigen Lautsprechern. Und alles ist in mir drin. Ich kann es nicht abschalten."
Vincent Garron bäumte sich auf und klammerte sich an den Arm des Arztes.
„Ich verliere den Verstand. Hilf mir!"
„Also gut, auf deine Verantwortung!"
Er verpaßte ihm eine Betäubung. Der Mutant verlor übergangslos das Bewußtsein. Sein Körper sackte in sich zusammen und entspannte sich endgültig. Der Arzt gab Tuyula ein Zeichen, die Soldaten hereinzulassen.
Kalle Esprot stand zuvorderst. Die Mündung seines Impulsstrahlers flammte schußbereit und deutete erst auf den Arzt, dann auf den Bewußtlosen.
„Er kommt in die Medostation, damit das klar ist."
Mangana trat zur Seite und ließ die Soldaten herein. Sie hüllten Garron in ein Antigravfeld und transportierten ihn ab. Die Blicke, mit denen sie den Mutanten musterten, waren alles andere als freundlich.
Tuyula blieb zögernd stehen. Sie entschloß sich, draußen auf den Chefmediker zu warten. Mangana nahm sich den Kommandanten zur Brust.
„Damit wir uns recht verstehen, Ertruser. Du hast die Verantwortung für alle an Bord, also auch für den Mutanten."
Esprot strich sich über den grauen Sichelkamm und tat verblüfft.
„Doktor Julio Mangana", sagte er ganz langsam. „Damit du weißt, woher der Wind weht, sage ich dir folgendes: Du kannst Garron behalten. Damit er keinen Unsinn anstellt, kommt er unter eine Kombination aus Anti-EsperSchirm und Paratron. Und die schaltet niemand ab, auch du nicht. Dann kann er wenigstens in der MERLIN keinen Schaden anrichten."
„Wir müssen ihn vom Sonnentresor wegbringen. Du hast doch Schiffe zur Verfügung gestellt. Also kannst du auch das arrangieren."
Der Ertruser lachte laut auf.
„Schlag dir das aus dem Kopf! In der derzeitigen Situation können wir es uns nicht erlauben, ein Schiff aus dem Lhanzoo-System wegzuschicken. Die Algiotischen Wanderer würden sofort versuchen, es für sich auszunutzen."
„Was also tun?"
„Auf besseres Wetter warten, Doktor."
Der Kommandant ging, und Tuyula drückte dem Arzt die Hand.
„Danke, daß du dich so für ihn eingesetzt hast", zirpte sie. „Darf ich bei ihm bleiben?"
„Von mir aus. Aber schlafen mußt du schon in deiner eigenen Kabine."
„Geht in Ordnung."
Sie hatten keine andere Wahl, als das zu tun, was Esprot geraten hatte. Sie mußten warten. Darauf, daß Mhogena von Thagarum zurückkehrte oder die Lage im Lhanzoo-System sich so zu ihren Gunsten veränderte, daß sie ein Schiff entbehren konnten.
Tuyula Azyk ließ sich in der Nähe des Schirmfeldes auf einem Stuhl nieder und beobachtete stundenlang ihren großen Freund. Die Rötungen auf seinem Körper verwandelten sich in häßliche Beulen.
Allein der Gedanke daran, daß sie aufplatzten und stinkenden Eiter von sich gaben, verdarb ihr den Appetit.
Vincent Garrons Zustand besserte sich nicht. Im Gegenteil. Seine Veränderung war bereits zu weit fortgeschritten, als daß sie unter der Abschirmung noch hätte aufgehalten werden können.
Tuyula brach der Anblick seines Leides beinahe das Herz.
8.
Der Zusammenstoß kam so unerwartet, daß Ganzetta in Schreckstarre verfiel. Der Wlatschide stand nur da, konnte sich nicht rühren und mußte alles über sich ergehen lassen, was geschah.
Doch es ereignete sich gar nichts. Ganzettas Kreislauf benötigte wertvolle Sekunden, bis er wieder richtig funktionierte und das Leben in seine Gliedmaßen zurückkehrte. In dieser Zeit hätten sie ihn von der Station aus zehnmal töten können.
Gehetzt sah er sich um und rannte zu dem kleinen Vorbau am Container, wo die Tür lag. Die Nische gab ihm Sichtschutz gegenüber der Station.
„Hast du es immer so eilig?" erkundigte sich eine freundliche Stimme in Sinjuil, der Umgangssprache in Chearth.
Ganzetta zuckte zusammen und bleckte instinktiv das Gebiß. Er war jetzt überzeugt, daß er Halluzinationen hatte.
Hastig vergewisserte er sich, laß sein Anzug dicht war und kein Methan eindrang.
„Bei Sharjam!" ächzte er. „Hier stimmt etwas gar nicht."
„Das solltest du nicht so laut sagen", meldete sich die Stimme erneut. „Oder glaubst du etwa an Gespenster? Glaub lieber an getarnte Terraner!"
Vor ihm tauchte aus dem’ Nichts ein
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