196 - Auf der Flucht
wagen.
Clarice hatte eine Schnur des Halsrings erreicht, hielt sich daran fest und zog sich langsam auf den Rücken hoch. Als sie einigermaßen sicheren Halt hatte, streckte sie die Hand nach Vogler aus und half ihm weiter hinauf. Dann musste sie ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn richten, denn der Bunyip war bereits durch den Zugang gedonnert und raste jetzt den Gang entlang.
Vogler sah, wie Clarice an den Fesselschnüren entlang weiter nach vorn kletterte. Rings um sie war Chaos; der fliehende Bunyip trampelte alles nieder, was ihm im Wege war. Vogler hoffte, dass das Tier einen Weg nach draußen wusste und sich nicht auf sein Lager flüchtete. Obwohl der Waldmann geschwächt war, versuchte er noch einmal Bilder zu transportieren, zeigte dem Bunyip einen Ausweg vor den Monstern, einen Ausgang und Licht. Dann freies Land, keine Gefangenschaft mehr.
Der Waldmann konnte nicht sagen, ob es funktionierte, aber der Bunyip rannte weiter durch die Gänge, kreuz und quer. Vogler hatte längst die Orientierung verloren, ihm war schwindlig von dem holprigen Ritt, seine Armmuskeln verkrampften sich. Er versuchte mehrmals, sich weiter nach oben zu ziehen, schaffte es aber nicht mehr. Die neuerliche mentale Anstrengung hatte ihn aller Kräfte beraubt.
Und dann wurde es tatsächlich heller. Irgendwie war es dem Bunyip gelungen, den Weg nach draußen zu finden; vielleicht hatte er sich auch daran erinnert, wie er hierher gebracht worden war.
Schrill pfeifend rannte er ins Freie, wo viele Menschen durcheinander rannten. »Haltet ihn!«, hörte Vogler jemanden schreien. »Haltet ihn auf!«
Pfeile und Bumbongs schwirrten wie wütende Hornissen um Voglers Kopf, und er duckte sich tiefer ins Federfell.
Das Untier rannte verstört im Kreis, hackte mit seinem Schnabel nach rechts und links und schlug mit den Krallenfüßen aus. Sollte die Flucht denn doch noch misslingen?
Jetzt kamen auch Zuschauer und Gefangene aus dem Eingang geströmt, und ein wildes Handgemenge entstand, als die Wachen sie zusammentreiben und festnehmen wollten. In diesem Durcheinander, an dem bald über hundert Menschen beteiligt waren, fand der Bunyip endlich eine Lücke und machte einen Satz nach vorn.
Vogler, völlig überrascht, verlor den Halt, versuchte sich verzweifelt festzukrallen, doch die Leine glitt wie Feuer brennend durch seine steifen, kraftlosen Finger, und er stürzte von dem Bunyip, der in weiten Sätzen ins freie Land hinaus rannte…
***
Durst.
Yunupi konnte an nichts anderes mehr denken. Sein Körper brannte innerlich wie äußerlich. Die Sonne stach unerbittlich auf ihn ein und schonte auch Stry nicht. Flach und unbewegt hing der kleine Vogel auf Yunupis Schulter.
Seit Beginn seines unfreiwilligen Fußmarsches waren eine Nacht und ein halber Tag vergangen – eine Ewigkeit, in der Yunupi sich keine Pause und keinen Schlaf gegönnt hatte. Er hatte eine innerliche Grenze überschritten. Der Mischling war mehr denn je entschlossen, sein Ziel zu erreichen. Einen Schritt nach dem anderen setzte er seine Reise fort, den Blick starr auf den Horizont geheftet. In seinem Beutel befanden sich nur noch wenige Tropfen Wasser und steinhartes Jobro. Aber das sollte ihn nicht mehr entmutigen.
Die Regenbogenschlange ist auf meiner Seite. Ihre Zeichen waren eindeutig. Ich muss mich würdig erweisen, die Prüfung bestehen.
Traum und Wirklichkeit flossen ineinander.
Abseits der Straße kam er wieder an einigen metallisch glänzenden Gerippen vorbei. Ungetüme, die einstmals über den alten Pfad gerollt waren, schneller als ein Emuku laufen konnte. Daneben ein Haufen Knochen; ob von Mensch oder Tier, war nicht zu erkennen, und Yunupi interessierte es auch nicht. Wichtig war, dass seine sich nicht dazu gesellten.
Als die Sonne sich ein weiteres Mal schlafen gelegt hatte und der Mond das Land in kühles Licht tauchte, nahm Yunupi den letzten Schluck aus dem Trinkschlauch. Doch die paar Tropfen brachten keine Linderung, konnten den sandigen Belag im Gaumen nicht wegspülen und den Durst nicht löschen.
Müdigkeit und Erschöpfung beschwerten seine Füße, bis er sich nur noch schlurfend über die staubige Straße vorwärts zwingen konnte.
Gerade als er sich zu wünschen begann, die Gelben hätten ihn erlösen sollen, bevor diese Qual begonnen hatte, bemerkte er ein Licht in der Ferne.
Yunupi hielt inne und versuchte, auf den Stab gestützt, die Quelle der Helligkeit auszumachen. Brannte dort ein Lagerfeuer? Spielte ihm nur eine Schar Glühwormer
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