196 - Auf der Flucht
sich gemerkt hatte, und schlug dann den Weg Richtung Westen ein.
Am übernächsten Morgen war Vogler zerschunden und der Verzweiflung nah. Die ohnehin schon arg strapazierte Unterkleidung hing in Fetzen an ihm, die Sonne verbrannte seine von Pigmentstreifen gemaserte Haut, und er fühlte die Last seines Körpers schwerer und schwerer werden.
Die Vorräte, vor allem das Wasser, schwanden rapide dahin. Die übergroßen marsianischen Lungen sogen gierig reichhaltigen Sauerstoff ein, der wiederum die Muskeln übersäuerte.
Vogler war ein stolzer Mann, der nicht so leicht aufgab. Doch jetzt stand er kurz davor. Kein Wunder, dass man ihm keine Verfolger hinterher schickte – falls man seine Abwesenheit überhaupt bemerkt hatte –, denn die gnadenlose Wüste strafte jeden, der sich ohne ausreichenden Schutz und Ausrüstung hineinwagte, mit dem Tod. Nur ein Verrückter würde die Annehmlichkeiten der Gefangenschaft gegen das hier freiwillig eintauschen.
Kein Sandsturm des Mars konnte schlimmer sein als diese Hölle.
Die Sonne stand jeden Tag als riesengroßer gelber Feuerball am Himmel. Es gab kaum einen Schatten und nur wenige Fährten.
Ihr ist etwas passiert , dachte Vogler Stunde um Stunde besorgter, während er sich dahinschleppte. Clarice wäre längst umgekehrt.
Aber selbst wenn ich zu spät komme, ich muss zu ihr. Sie darf nicht einsam und fern des Mars verloren gehen.
Diese Gedanken zwangen ihn weiterzugehen, Schritt vor Schritt zu setzen, immer weiter. In regelmäßigen Abständen überprüfte Vogler die Fährte des Bunyip; sie war nicht zu übersehen bei diesem riesenhaften Geschöpf. Manchmal lagen fünf, sechs Meter zwischen den Fußabdrücken, manchmal stapfte das mächtige Untier in kurzen Schritten müde dahin, den Reptilienschwanz nachschleifend.
Windtänzer, warum hast du das von mir verlangt , dachte der Waldmann müde. Ich bin nicht der Richtige für diese Aufgabe, bisher habe ich nur versagt. Nichts von dem, was wir geplant hatten, ist eingetroffen. Wir sind Heimatlose, gefangen in der Hölle. Und…
mit mir geschieht etwas. Mein Kopf… ich habe Angst … Clarice …
Der nächste leere Wasserschlauch fiel in den Sand. Nun hatte er nur noch einen. Die Packtasche hatte Vogler über seine Schultern gelegt, um wenigstens ein bisschen vor der Sonne geschützt zu sein.
Zwischendurch befeuchtete er die rotbraunen, zu eigenwilligen Zöpfen geflochtenen Haare und die Stirn, um keinen Hitzschlag zu bekommen. Er wanderte in einem ausgetrockneten Flussbett entlang, das wahrscheinlich nur alle paar Jahrzehnte für kurze Zeit Wasser führte.
Die Felsen, die gestern noch in weiter Ferne gewesen waren, rückten immerhin näher. Eine willkommene Abwechslung in dieser Einöde. Die Spuren des Bunyip führten über die Felsen.
Vogler, der nach einem Rastplatz und Schatten suchte, entdeckte einen Höhleneingang am Ende des Flussbettes. Vielleicht ein Weg durch die Felsen hindurch, den der Fluss einst gegraben hatte, als er noch ein reißender Strom gewesen war? Eine Abkürzung womöglich? Vogler könnte Stunden, wenn nicht sogar mindestens einen Tag aufholen, sollte der Weg begehbar bleiben und hindurch führen. Kein mühsames Auf- und Absteigen in sengender Hitze.
Vogler entschied sich, es zu wagen. Er musste gebückt gehen, dennoch atmete er sogleich auf, als er schon nach wenigen Schritten in kühle Dunkelheit eintauchte. Es wurde nicht ganz finster, wie zuerst befürchtet; wie am Uluru auch bestanden die Felsen aus porösem Sandstein. Irgendwo gab es immer eine Ritze oder Lücke, durch das sich Licht drängte. Voglers marsianische Augen gewöhnten sich schnell an die schwachen Lichtverhältnisse, denn auf dem Mars war es viel dämmriger, die Farben sanfter und weicher, die Konturen verschwommener.
Wie sehr sehnte Vogler sich in die Heimat zurück, in die wispernden grünen Wälder, das sanfte Licht, die trockene Kühle.
Was für ein glückliches und unbeschwertes Leben er doch geführt hatte! Das wurde ihm erst jetzt bewusst. Als Baumsprecher der Sippe hatte er es sich niemals leicht gemacht. Um wie viel leichter hätte er es haben können…
Vogler verharrte und lauschte. Es war ganz still. Kein leises Wasserrauschen einer unterirdischen Quelle oder auch nur ein Tröpfeln auf Stein. Doch das war es nicht, wonach er horchte.
Der Waldmann hatte jemanden atmen gehört. Er war ganz sicher.
Vorsichtig setzte er den Weg fort, tastete sich mit der Hand an einer Höhlenwand entlang. Bisher führte der Weg
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