196 - Auf der Flucht
gerade Platz fand. Hier hatte er Schutz vor der sengenden Hitze, vom Boden aus konnte man ihn nicht sehen, und er konnte in Ruhe abwarten, bis sich die Lage beruhigt hatte. Vogler hatte sich schon entschieden, dass er erst nach Einbruch der Dunkelheit aufbrechen wollte. Sicher hatte sich der Abstand zu dem Bunyip dann um Stunden vergrößert, aber andererseits kam er in der sengenden Hitze nicht schnell genug voran. Ein Malala zu reiten kam für ihn nicht in Frage; er hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte. Außerdem hätten ihn die Anangu umso schneller ausgemacht. Es war besser, die Kühle der Nacht und den Schutz der Dunkelheit zu nutzen, und sich auf die eigenen Beine zu verlassen.
Vogler trank einen kräftigen Zug aus dem Wasserschlauch und fühlte, wie seine Lebensgeister allmählich wieder erwachten. Der Bunyip war Richtung Westen gelaufen. Der Wind war mäßig, und regnen würde es wohl auch nicht so schnell. Vogler würde seinen Spuren folgen können, auch in der Nacht. Er hatte Fährten in Wald und Wüste auf dem Mars verfolgt, unter allen möglichen Bedingungen.
Außerdem würde er Clarice spätestens am Morgen wieder finden.
Sobald sie nämlich gemerkt hatte, dass er nicht mehr mit an Bord war und umkehrte, um ihn zu suchen.
Clarice… dachte er, und wunderte sich, wie sehr dieser Name sein Inneres wärmte. Er klang nach einer Melodie, die er vor langer Zeit einmal gesungen hatte.
Vogler gähnte und blinzelte noch einmal über den Felsrand. Unten flauten die Kämpfe ab und die Lage normalisierte sich, insofern man in einem riesigen Lager wie diesem davon sprechen konnte. Die Erhabenheit des Uluru hatte viel verloren, seit sich hier Tausende von Telepathen und Empathen aus der ganzen Welt tummelten.
Von einer richtigen Ordnung konnte man nicht sprechen, denn die Befehle des Finders waren undifferenziert. Vor allem war er kein greifbarer Herrscher, sondern nur eine Stimme in den Gedanken.
Dementsprechend nachlässig verhielten sich Wächter und Getreue auch, legten die Befehle durchaus nach eigenem Gutdünken aus und handelten nur, wenn sie den Auftrag dazu hatten.
Vogler war sicher, dass keiner der Telepathen auf die Frage, was er hier zu suchen habe, eine eindeutige Antwort geben könnte. Sie waren hier, weil sie es sollten. Was verfolgte der Finder für einen Plan? Wer war er? Hatte sein Verhalten etwas mit der fernen Bedrohung zu tun, die die Schamanen auf dem Mars vorhersahen?
Leere deine Gedanken.
Bei dem Gewimmel an Telepathen war der Waldmann nur einer unter vielen und würde dem Finder nicht besonders auffallen.
Andererseits war seine Gabe ganz anders ausgeprägt. Er konnte keine Gedanken lesen, sondern mehr Stimmungen erspüren und inzwischen auch Bilder projizieren. Er hatte es bei Menschen noch nicht versucht, aber zu Vögeln hatte Vogler eine starke Affinität, und wie der Bunyip gezeigt hatte, funktionierte es inzwischen auch bei anderen Tieren. Vogler war beunruhigt, dass sich seine Kräfte veränderten und stärker wurden, denn er wusste nicht, wohin das führen würde.
Umso mehr ein Grund, so schnell und so weit wie möglich vom Finder wegzukommen. Also: Gedankenleeren, unsichtbar machen, aus der Erinnerung verschwinden.
Und Kräfte sammeln.
Vogler rollte sich zusammen und schlief ein.
Kurz vor der Dämmerung erwachte er, frisch und erholt. Unten war alles ruhig. Der Hauptbetrieb konzentrierte sich auf die östliche Seite des Felsens, die sehr viel mehr mythische Bedeutung bei den Anangu hatte als die westliche.
Von hier aus war es nicht weit in die Wüste, und vereinzelte Büsche und Sträucher boten Deckung. Vogler trank den ersten Wasserschlauch leer, ließ ihn liegen und hängte sich die restlichen Beutel und die Packtasche um. Vorsichtig verließ er die schützende Höhle und sah sich um. Es wurde rasch dunkler, und der Mond war noch nicht aufgegangen.
Vogler kletterte ein Stück den Felsen entlang, bis er zu einer Gruppe Büsche hinab stieg und sich in deren Deckung weiter Richtung Wüste wagte. Hier war es sehr still und verlassen. Der erste Feuerschein, vor dem sich die Silhouetten einiger Malalas abzeichneten, war gut zweihundert Meter entfernt.
Der Waldmann hatte sich den Fluchtweg des Bunyip genau eingeprägt, trotz des Sturzes und der Benommenheit. Seine Orientierung ließ ihn auch bei Nacht nicht im Stich. Nachdem er die erste Bodenwelle hinter sich gelassen hatte und bereits außer Sichtweite war, suchte Vogler nach den Orientierungspunkten, die er
Weitere Kostenlose Bücher