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1974

1974

Titel: 1974
Autoren: David Peace
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Großteil der Häuser brannten bereits die Lichter an den Weihnachtsbäumen. Nur bei Enid Sheard nicht, dieser unausstehlichen alten Schachtel.
    Und bei den Goldthorpes auch nicht.
    Ich verfluchte mein Leben, klopfte an die Glastür des Bungalows und hörte Hamlet, den riesigen Schäferhund, wie wild bellen.
    Bei meinem allzu kurzen Zwischenstop in der Heet Street hatte ich es zigmal mitbekommen. Die Familien, Freunde, Kollegen und Nachbarn des Toten oder Beschuldigten, genau die Leute, die bei der leisesten Erwähnung von Geld für ihre Story ach so beleidigt taten, so entsetzt, verletzt und sogar wütend, eben diese Familien, Freunde, Kollegen und Nachbarn des Toten oder Beschuldigten riefen einen Monat später an und waren plötzlich ganz eifrig, hilfsbereit und so beschissen gierig, Geld für ihre Story zu kriegen.
    »Wer ist da? Wer ist denn da ?« Die alte Schachtel schaltete nicht mal das Flurlicht an, geschweige denn, daß sie die Tür öffnete.
    Ich brüllte durch die Tür: »Ich bin’s, Mrs. Sheard, Edward Dunford. Von der Post, erinnern Sie sich?«
    »Natürlich erinnere ich mich. Heute ist Sonntag, Mr. Dunford«, kreischte sie über das Gebell ihres Schäferhundes Hamlet hinweg.
    »Mr. Hadden, mein Chefredakteur, hat mir gesagt, Sie hätten angerufen und wollten mit einem seiner Reporter reden«, brüllte ich durch das geriffelte Glas.
    »Ich habe letzten Montag angerufen, Mr. Dunford. Ich pflege meine Geschäfte in der Woche zu erledigen, nicht am Tag des Herrn. Ich wäre Ihnen und Ihrem Chef dankbar, wenn Sie das ebenfalls täten, junger Mann.«
    »Tut mir leid, Mrs. Sheard. Wir hatten sehr viel zu tun. Ich habe einen ziemlichen Weg hinter mir, und normalerweise arbeite ich nicht …« murmelte ich und fragte mich, ob Hadden mich angelogen oder nur die Tage durcheinandergebracht hatte.
    »Es wäre besser für Sie, wenn Sie das Geld dabei hätten, ich nur sagen«, drohte Enid Sheard und öffnete die Tür.
    Ich hatte kaum einen Penny in der Tasche, dennoch trat ich den dunklen, schmalen Flur, in dem es nach Hamlet muffelte, Gestank, von dem ich gehofft hatte, ihn nie mehr aushalten müssen.
    Witwe Sheard, siebzig gereizte Jahre alt, mindestens, führte mich ins Vorderzimmer, und wieder saß ich mit Enid Sheard ihren Erinnerungen und Lügen im Dämmerlicht, und Hamlet kratzte am Fuße der gläsernen Küchentür.
    Ich hockte mich auf die Sofakante und sagte: »Mr. Hadden meinte, Sie wollten reden …«
    »Ich habe niemals mit Ihrem Mr. Hadden gesprochen …«
    »Aber Sie wollten uns doch etwas über die Ereignisse Nebenhaus mitteilen?« Ich starrte die blinde Mattscheibe Fernsehers an, sah die toten Augen von Jeanette Garland, Susan Ridyard und Clare Kemplay.
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht unterbrechen würden, wenn ich rede, Mr. Dunford.«
    »Tut mir leid«, sagte ich, und meinem Magen wurde es bei jedem Gedanken an Mrs. Garland immer flauer.
    »Ich glaube, Sie riechen nach Alkohol, Mr. Dunford. Ich denke, ich treffe mich lieber mit Ihrem netten Mr. Whitehead. Und auch nicht an einem Sonntag.«
    »Sie haben mit Jack Whitehead gesprochen?«
    Ihre Strichlippen lächelten. »Ich sprach mit einem Mr. Whitehead. Er hat mir seinen Vornamen nicht genannt, und ich ihn auch nicht danach gefragt.«
    Mir war plötzlich siedend heiß in ihrem kalten schwarz Loch von Zimmer. »Was hat er gesagt?«
    »Er hat gesagt, ich sollte mit Ihnen sprechen, Mr. Dunford. Und daß es nicht seine Story sei.«
    »Was noch? Was hat er noch gesagt?« Ich rang nach Luft.
    »Wenn Sie mich ausreden ließen … «
    Ich rutschte auf dem Sofa zum Sessel der Witwe. »Was noch?«
    »Also wirklich, Mr. Dunford. Er sagte, ich solle Ihnen den Schlüssel überlassen. Aber ich meinte …«
    »Den Schlüssel? Welchen Schlüssel?« Ich hockte der Witwe beinahe auf dem Schoß.
    »Den Schlüssel für nebenan«, verkündete sie stolz.
    Plötzlich flog krachend die Küchentür auf, es bellte donnernd, und Hamlet, der Deutsche Schäferhund, stürmte ins Zimmer, sprang zwischen uns hin und her und schleckte uns beiden mit seiner heißen, großen und schlabberigen Zunge über die Gesichter.
    »Also wirklich, Hamlet, es reicht.«
     
    Draußen war es Nacht, und Mrs. Enid Sheard fummelte mit dem Schlüssel an der Hintertür des Bungalows der Goldthorpes herum. Sie schloß auf, und ich ging hinein.
    Vor einem Monat hatte die Polizei kategorisch alle Anfragen, den Tatort der Tragödie sehen zu dürfen, abgewiesen. Enid Sheard hatte nicht einmal
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