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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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ein Fahrzeug gesteuert zu haben.«
    Michael John Myshkin, Frankensteins Ungeheuer in Handschellen, legt seine freie Hand auf das Geländer der Anklagebank und seufzt.
    Der Gerichtsschreiber nickt einem anderen Mann zu, der ihm gegenüber sitzt.
    Der Mann erhebt sich und verkündet: »William Bamforth, Bezirks Staatsanwalt. Es wird im Protokoll festgehalten, daß Mr. Myshkin im Augenblick keinen Rechtsbeistand hat. Im Namen der West Yorkshire Metropolitan Police fordere ich, daß Mr. Myshkin für weitere acht Tage in Untersuchungshaft genommen wird, damit er auch weiterhin zu Straftaten ähnlicher Natur verhört werden kann wie jene, die ihm bereits zur Last gelegt wird. Ich möchte alle Anwesenden im Gericht und vor allem die Angehörigen der Presse daran erinnern, daß dieser Fall noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Danke.«
    Der Gerichtsschreiber steht wieder auf. »Mr. Myshkin, erheben Sie Einspruch gegen die Forderung des Anklägers, daß Sie für weitere acht Tage in Untersuchungshaft genommen werden ?«
    Michael John Myshkin blickt auf und schüttelt den Kopf.
    »Nein.«
    »Wünschen Sie, daß die Presseeinschränkungen aufgehoben werden?«
    Michael John Myshkin sieht einen der Detectives an.
    Der Detective schüttelt kaum sichtbar den Kopf, und Michael John Myshkin flüstert: »Nein.«
    »Michael John Myshkin, Sie werden für acht Tage in Untersuchungshaft genommen. Die Pressebeschränkungen werden aufrechterhalten.«
    Der Detective dreht sich um und zieht Myshkin hinter sich her.
    Alle Gäste auf der Galerie recken die Hälse.
    Michael John Myshkin bleibt oben an der Treppe stehen, dreht sich zum Gerichtssaal um, stolpert beinahe und muß von einem der Beamten gestützt werden.
    Das letzte, was wir von ihm sehen, ist seine große Pranke, die zum Abschied winkt und dann im Bauch des Gerichts verschwindet.
    Das war die Hand, die Leben genommen hat, denke ich.
    Und dann ist der Scheißkerl verschwunden.
    »Was denkst du?«
    »Er sieht jedenfalls ganz so aus«, sage ich.
    »Ja. Stimmt«, meint Gilman.
     
    Es war kurz vor elf, als der Viva, gefolgt von Gilmans Wagen, zum Krematorium Dewsbury einbog.
    Der Eisregen war einem kalten Nieselregen gewichen, aber der Wind war so kalt wie letzte Woche, und man hatte keine Chance, sich mit einer bandagierten Hand eine Zigarette anzuzünden.
    »Später«, murmelte Sergeant Fraser an der Tür.
    Gilman sah mich an, sagte aber kein Wort.
    Das Krematorium war gesteckt voll und totenstill.
    Die Familie plus Presse.
    Wir setzten uns in eine Bank am Ende der Kapelle, richteten unsere Schlipse, strichen unsere Haare glatt und nickten der Hälfte aller Nachrichtenredaktionen von Nordengland zu.
    Jack Whitehead saß vorn, beugte sich über seine Bank und sprach mit Hadden, dessen Frau und den Gannons.
    Ich starrte zu einer weiteren bleiverglasten Wand voller Hügel und Schafe, Webereien und dem Heiland empor und betete, daß Barry einen besseren Abgang bekam als mein Vater.
    Jack Whitehead drehte sich um, verengte die Augen und winkte mir zu.
    Draußen pfiff der Wind ums Gebäude wie das Geschrei von Seemöwen, und ich saß da und fragte mich, ob Vögel sprechen konnten.
    »Wann fangen die endlich an, verdammt«, flüsterte Gilman.
    »Wo ist Jack?« fragte Tom aus Bradford.
    »Da vorne«, sagte ich lächelnd.
    »Ja, verdammt. Noch so ein verdammter unterirdischer Gang«, meinte Gilman lachend.
    »Hör auf zu fluchen«, flüsterte Tom.
    Gilman schaute aufsein Gesangbuch. »Oh, Scheiße, sorry.«
    Ich drehte mich unvermittelt zu den Bleiglasfenstern um, als Kathryn Taylor, ganz in Schwarz, an den Fenstern vorbei den Gang entlangging, Arm in Arm mit der fetten Steph und Gaz vom Sport.
    Gilman stieß mich an und blinzelte. »Du verdammter Glückspilz.«
    »Halt die Schnauze«, zischte ich und wurde ganz rot; ich sah, wie die Knöchel meiner gesunden Hand, die die Holzbank umklammert hielt, ganz weiß wurden.
    Urplötzlich haute der Organist auf alle verdammten Tasten gleichzeitig.
    Alle erhoben sich.
    Und da war er.
    Ich starrte den Sarg vorne in der Kapelle an und konnte mich nicht mehr erinnern, ob der meines Vaters heller oder dunkler gewesen war.
    Ich sah auf das Gesangbuch zu meinen Füßen und dachte an Kathryn.
    Ich sah auf und fragte mich, wo sie wohl saß.
    Ein fetter Kerl in einem braunen Kaschmirmantel starrte mich über den Mittelgang hinweg an.
    Wir wandten beide unseren Blick ab und sahen zu Boden.
     
    »Wo warst du?«
    »Manchester«, antwortete Kathryn

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